Unbewusste Faktoren beeinflussen unser Anlegen
Investitionen scheinen meist rational, doch sind sie es auch? Behavioral Finance kann helfen, bewusstere Finanzentscheide zu treffen und irrationalem Vorgehen vorzubeugen.
Das Wichtigste in Kürze
Das Wichtigste in Kürze
- Menschliche Denk- und Entscheidungsprozesse sind von psychologischen Faktoren und Heuristiken geprägt, die uns zu irrationalem Verhalten verleiten.
- Behavioral Finance widmet sich den unbewussten Verhaltenstendenzen von Anlegerinnen und Anlegern auf dem Finanzmarkt.
- Forschende unterscheiden zwischen zwei Denkmustern – einem unterbewussten und einem bewussten System. Unsere Finanzentscheide sollten wir bewusst fällen, wir tun es aber oft unterbewusst.
- Um irrationale Entscheide besser zu durchschauen und ihnen vorzubeugen, sollten Sie die zugrunde liegenden Verhaltenstendenzen und Heuristiken kennen und verstehen.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen im Lebensmittelgeschäft und möchten Joghurt kaufen. Vor Ihnen stehen zwei Produkte zur Auswahl. Das eine ist mit «96,5% mager» angeschrieben, das andere mit «3,5% fett». Wofür entscheiden Sie sich? Obwohl beide Varianten dasselbe beinhalten, wählt eine grosse Mehrheit das erste Joghurt. Das zeigt ein Experiment von Forschern der University of Glasgow und Unilever Research.
Eine Antwort kennt die Verhaltenswissenschaft (Behavioral Science) aus der Psychologie: Unser Entscheiden und Handeln ist von kognitiven, also wahrnehmenden Prozessen beeinflusst. Diese sind nicht immer logisch oder rational, sondern von psychologischen Verhaltenstendenzen und sogenannten Heuristiken, verinnerlichten Faustregeln, geprägt.
Jeden Tag treffen wir mehrere Zehntausend Entscheidungen – von kleiner, aber auch grosser persönlicher Bedeutung. Müssten wir für jede Entscheidung alle vorhandenen Informationen bewusst verarbeiten, wären wir komplett überfordert. Die sogenannten Heuristiken – individuelle und oftmals unterbewusste Faustregeln – helfen uns, Entscheide bauch- und emotionsgetrieben zu fällen. In wiederkehrenden Alltagssituationen ist dies hilfreich, in neuen Situationen und bei langfristig ausgerichteten Entscheiden kann es trügen.
Beim Investieren werden wir von Verhaltenstendenzen beeinflusst
Beim Investieren werden wir von Verhaltenstendenzen beeinflusst
Irrationales Verhalten finden wir nicht nur im Lebensmittelgeschäft: Bereits bei der Frage «Kopf oder Zahl?» werden wir mit Verzerrungen konfrontiert. Wenn Sie beim Münzwurf zwischen Kopf und Zahl wählen, liegen Sie in 50 Prozent der Fälle richtig. Wenn Sie nun das Spiel dreimal hintereinander wiederholen und jedes Mal Kopf gewinnt, dann sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl, dass als Nächstes eher Zahl kommen wird – obschon bei jedem Spiel die Wahrscheinlichkeiten gleich verteilt sind.
Doch was haben solche Verhaltenstendenzen mit Finanzen zu tun? Behavioral Finance ist ein Teilgebiet der Verhaltensökonomie, das sich den Heuristiken und irrationalen Denkprozessen der Anlegerinnen und Anleger widmet. Denn dort sind Bauchgefühl und Emotionen allein keine gute Empfehlung.
Auch in der Finanzwelt sind wir geprägt von verzerrten Entscheidungsprozessen, obwohl wir in der Theorie rationale und nutzenmaximierende Entscheidungen treffen sollten. Was genau geschieht also in solchen Momenten mit unseren kognitiven Prozessen?
Zwei Systeme, viele Denkprozesse
Zwei Systeme, viele Denkprozesse
Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat die kognitiven Denkprozesse von Menschen zusammen mit seinem Kollegen Amos Tversky jahrelang untersucht, um eine Erklärung für irrationales Verhalten zu finden. Sie sind zum Schluss gekommen: Menschen denken in zwei Systemen.
System 1: Thinking fast (dt. schnelles Denken)
Schnell, automatisch, immer aktiv, emotional, stereotypisierend, unbewusst
System 2: Thinking slow (dt. langsames Denken)
Langsam, anstrengend, selten aktiv, logisch, berechnend, bewusst
Kahneman unterteilt in seinem Buch «Thinking fast and slow» unsere Denkprozesse in zwei Arten und definiert so sein Modell: System 1 ist das schnelle, unterbewusste Denken («thinking fast»), System 2 das langsame, bewusste oder eben rationale Denken («thinking slow»). Er identifiziert zudem Treiber, sogenannte Biases und Heuristiken, die in System 1 unser Handeln beeinflussen können. Das Ergebnis: Unsere kognitiven Denk- und Entscheidungsprozesse sind oft verzerrt, wenn System 1 am Werk ist.
Als Anlegerinnen und Anleger ist es von Vorteil, mit dem System 2 zu denken. Doch so einfach ist es nicht: System 2 einzusetzen, verlangt viel mehr Aufwand. Deshalb sind wir nicht immer imstande, unaufgefordert und gedankenlos vom unterbewussten Denken auf das Rationale zu wechseln. Stattdessen müssen wir uns unserer psychologischen Verhaltenstendenzen und Heuristiken bewusst sein, um sie steuern zu können. Das ist wichtig, um beispielsweise vor Anlageentscheiden alle Informationen zu verarbeiten. Als mögliche Hilfestellung und Ruck in die richtige Richtung kann hier eine entsprechende Finanzberatung dienen.
Um Verzerrungen in Ihren Denk- und Entscheidungsprozessen beim Anlegen zu vermeiden, sollten Sie sich ein Bild davon machen, welche Biases und Heuristiken Sie im Finanzalltag begleiten. Eine Hilfestellung sind Behavioral-Finance-Theorien, welche die verschiedenen Verzerrungen zu beschreiben und zu erklären versuchen.
Auf diese Verzerrungen können Sie in der Finanzwelt stossen
Auf diese Verzerrungen können Sie in der Finanzwelt stossen
Wie das Alltagsleben ist auch der Finanzmarkt geprägt von schnellen Denkmustern wie Heuristiken und Verhaltenstendenzen der Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer. Womöglich ist auch Ihnen bereits unwissentlich die eine oder andere Art von Verzerrung widerfahren, während Sie Ihr Vermögen oder Ihre Anlagestrategie planten. All das wird von Behavioral-Finance-Experten beobachtet.
- Vergleichen Sie kurz: Sie halten eine Aktie, die an einem Tag einen Wertverlust von 2 Franken erlebt und am anderen Tag 2 Franken an Wert gewinnt. Denken Sie, dass Ihre Angst, die Aktie könnte noch tiefer sinken, grösser ist als die Freude über den Wertanstieg? Verluste stärker zu gewichten als Gewinne, ist eine typische Verhaltenstendenz, die auch bei Anlegerinnen und Anlegern beobachtet wird – aber noch lange nicht die einzige.
- Werfen Sie einen Blick auf Ihr Portfolio und die Herkunft Ihrer Aktienanlagen. Sehen Sie einen grossen Anteil an Schweizer Titeln? Gratulation, wenn Sie diese Frage mit «Nein» beantworten können. Dann stehen Sie nicht unter einem Home Bias, zu Deutsch einer Heimmarktneigung. Diese steht uns bei der Diversifizierung des Portfolios oftmals im Weg.
- Erinnern Sie sich noch an die Dotcom-Blase rund um den Jahrhundertwechsel? Oder an die Tulpenmanie in den Niederlanden aus dem Geschichtsunterricht? Auch diese Phänomene sind mit irrationalen Verhaltenstendenzen zu erklären. Wir tendieren dazu, anderen bei Investitionsentscheidungen zu folgen, anstatt die Finanzdaten selbst zu studieren. So fühlen wir uns sicherer, obwohl wir das Risiko der Anlage nicht selbst studiert haben. Für den Markt kann das gefährlich sein, denn genauso können Finanzblasen entstehen.
Verzerrungen wie Framing, also der selektive Fokus auf einen Teil der Fakten wie «mager», können dazu führen, dass wir Entscheide wie beispielsweise einen Joghurtkauf irrational fällen. Beachten Sie beim nächsten Einkauf nicht nur, was auf dem Produkt steht, sondern auch, ob alle Informationen wirklich in Ihrem Kopf ankommen.
Weitere Beispiele aus der Finanzwelt und Informationen zu Verzerrungen und Heuristiken von Behavioral Finance lesen Sie in den Folgeartikeln.
Weil ein persönliches Gespräch viel wert ist
Weil ein persönliches Gespräch viel wert ist
Was können wir für Sie tun? Gerne kümmern wir uns auf direktem Weg um Ihre Anliegen. Nutzen Sie folgende Möglichkeiten, um uns zu kontaktieren: