Zürich, 21. Juni 2023 – Im Generationenvertragssystem der AHV muss nicht nur eine ausreichende Kindergeneration grossgezogen und ausgebildet werden, damit diese die Elterngeneration später finanzieren kann. Auch müssen die Rentenbezugszeit und die Einzahlungsdauer in einem gesunden Verhältnis stehen. Dies war bei Einführung der AHV vor über 70 Jahren erfüllt. Durch die steigende Lebenserwartung und der seit 40 Jahren tiefen Geburtenrate nimmt der Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft rasant zu. Das bedeutet, dass die AHV, so wie sie aktuell konzipiert ist, in Zukunft mehr Ausgaben als Einnahmen haben wird. Dieses Defizit stellt eine implizite Schuld dar, die jemand irgendwann begleichen muss. «Das System in seiner jetzigen Form ist somit weder nachhaltig noch generationengerecht. Wir müssen uns zum Wohle der zukünftigen Generationen fragen, wann wir beginnen wollen den Schuldenberg zu verkleinern, anstatt ihn weiter zu vergrössern», sagt Dr. Veronica Weisser, Ökonomin und Vorsorgeexpertin bei UBS.


Wie kann man die AHV sanieren?

Eine Option für eine generationengerechtere Finanzierung der AHV wäre die Erhöhung des Referenzalters. Eine mögliche Ausgestaltung dieser Lösung und ihre Wirkungen wurden in einem früheren Bericht analysiert. Eine Erhöhung des Referenzalters sorgt dafür, dass Personen länger Beiträge leisten und somit in der Summe mehr einzahlen. So erhöht die steigende Lebenserwartung nur teilweise die Rentenbezugszeit und dadurch die Kosten für die AHV. «Die Anhebung des Referenzalters ist die einzige Reformmöglichkeit, die den materiellen Wohlstand aller Generationen erhalten kann», fügt UBS-Ökonomin Jackie Bauer an. Der neuste UBS-Bericht «AHV 2030 – Szenarien zu den Einnahmen der AHV» zeigt mögliche Alternativen zur Erhöhung des Referenzalters auf, deren Auswirkungen sind allerdings über die Generationen hinweg weniger ausgeglichen verteilt. So kann zum Beispiel die 1. Säule auch durch höhere Einnahmen primär auf Kosten der jüngeren Generationen saniert werden.

Wie finanziert sich die AHV?

Heute werden die Ausgaben der AHV zu fast drei Vierteln über Lohnabgaben finanziert, also der reinen Umlage zwischen Erwerbstätigen und Rentenbezügern. Die Beiträge mussten im Laufe der Zeit erhöht werden, um die Ausgaben zu decken. Der reguläre Beitragssatz beträgt derzeit 8,7 Prozent des Bruttoeinkommens, wobei Arbeitgeber und Arbeitnehmende je die Hälfte tragen.

Das restliche Viertel stammt aus öffentlichen Quellen, nämlich zu rund drei Vierteln vom Bund und einem Viertel aus direkten Steuereinnahmen. Über die letzten 80 Jahre hat sich dieses Finanzierungsverhältnis öfters verschoben und schon seit Längerem ist klar: Die AHV braucht strukturell höhere Einnahmen, um ihre Ausgaben decken zu können.

Wie viel mehr Geld braucht die AHV?

Um die AHV-Finanzierungslücke ohne Referenzaltererhöhung oder Rentensenkungen zu schliessen, kann im Generationenbilanzierungsmodell an zwei Stellschrauben gedreht werden: den Lohnbeiträgen und den Beiträgen der öffentlichen Hand. Die Beitragseinnahmen aus Lohnabgaben betrugen 2019 insgesamt 32,5 Milliarden Franken, doch steigen diese in Zukunft aufgrund der demografischen Entwicklung viel langsamer an als der Finanzierungsbedarf. «Um die AHV dauerhaft zu sanieren, müssten entweder die Einnahmen aus Lohnbeiträgen im Durchschnitt um jährlich 15,5 Prozent höher liegen. Alternativ könnte der Bundesbeitrag, der 2019 rund 9,8 Milliarden Franken betrug, um etwa 50 Prozent auf rund 14,5 Milliarden Franken erhöht werden» erklärt James Mazeau, Ökonom bei UBS. Das heisst: Mit einem Beitragssatz von 10,1 Prozent oder einer Erhöhung des Bundesbeitrags, also der allgemeinen Bundesmittel sowie der Tabak- und Alkoholsteuer, von heute 20,2 Prozent auf 30 Prozent der AHV-Ausgaben wäre die Finanzierungslücke der AHV geschlossen (Abbildung 1).

Wer zahlt die Einnahmenerhöhungen?

Würden zur Sanierung der AHV die Lohnbeiträge von heute 8,7 Prozent auf 10,1 Prozent angehoben, erhielte eine Person mit einem Gehalt von 100 000 Franken pro Jahr 700 Franken weniger Lohn ausbezahlt. Eine 20-jährige Person, die heute ins Erwerbsleben eintritt, hätte über 44 Jahre Erwerbsleben verteilt 30 800 Franken weniger Nettolohn. Zusätzlich würden Lohnerhöhungen unwahrscheinlicher, weil der Arbeitgeber ebenfalls 700 Franken höhere Lohnnebenkosten tragen müsste. Eine 55-jährige Person dagegen würde in diesem Beispiel nur 7000 Franken weniger Nettoeinkommen über das verbleibende Erwerbsleben erzielen.

Oftmals wird die Mehrwertsteuererhöhung als pragmatischster Weg zur Sanierung der AHV bezeichnet. Doch eine solche Erhöhung zieht weitere Reaktionen wie Anpassungen am Konsumverhalten, nach sich. Deshalb lässt sich nur schwer feststellen, wie hoch die Mehrwertsteuererhöhung sein müsste, um die AHV-Finanzierungslücke zu füllen. Unter der Annahme, dass es keine Verhaltensänderungen auslöst, müsste die Mehrwertsteuer gemäss unseren Berechnungen ab sofort um etwa 1,5 bis 2,0 Prozentpunkte angehoben werden, um die benötigten Mehreinnahmen der AHV durch öffentliche Mittel von etwa 5 Milliarden Franken pro Jahr zu decken.

Auch ist eine Mehrwertsteuererhöhung eine lebenslange Belastung. Das heisst, je jünger eine Person ist, umso höher ist die finanzielle Belastung. Somit sind vor allem Familien mit Kindern stärker betroffen. Beispielsweise betragen die Opportunitätskosten über das verbleibende Leben bei Mehrwertsteuersatzerhöhung von 1,5 Prozentpunkten bis zu 230 000 Franken für eine junge Familie mit zwei Kleinkindern, unter Berücksichtigung, dass das Geld investiert würde, wenn es nicht für den Konsum ausgegeben werden müsste.

Was ist der beste Weg?

Einnahmequellen hat die staatliche Vorsorge viele; gespiesen werden sie alle durch Abgaben der Bevölkerung. Wie diese die versprochenen AHV-Renten finanzieren will, ist eine politische Entscheidung, bei der das Stimmvolk das letzte Wort hat. Im Sinne der Transparenz, Planbarkeit und Solidarität mit allen Generationen sollte eine Entscheidung lieber früher als später getroffen werden.

Abbildung 1: Reduzierung der AHV-Finanzierungslücke durch Beitragssatzerhöhungen oder höhere Bundesbeiträge (nach Reform AHV 21)


In Prozent des BIP, Basisjahr 2019, Produktivitätswachstum 1,2 Prozent, realer Zinssatz 2,2 Prozent

AHV-Beitragssätze und entsprechende verbleibende Finanzierungslücke

Höhe der Bundesbeiträge und entsprechende verbleibende Finanzierungslücke

UBS Switzerland AG

Kontakte

Jackie Bauer, CFA
jackie.bauer@ubs.com
Dr. Veronica Weisser
veronica.weisser@ubs.com
James Mazeau, CFA
james.mazeau@ubs.com

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