(UBS)

Was ist geschehen?
Globale Aktien rutschten am Montag weiter ab.

In den USA fiel der S&P 500 am Montag um 4,25%, bevor er dann um 3% schwächer bei 5186 Punkten schloss. Die marktbreite Verkaufswelle erfasste alle Sektoren. Der Small-Cap-Index Russell 2000 fiel um 3,3% auf rund 2039 Punkte und der technologielastige Nasdaq Composite rutschte ebenfalls um 3,4% auf 16 200 Zähler ab.

Die Bewegungen am US-Markt folgten auf schwache Handelssitzungen in Asien und Europa. Die japanischen Märkte erlebten ihren schlechtesten Handelstag der Geschichte (der Nikkei 225 stürzte um 12,4% ab). Die Märkte in Korea und Taiwan brachen ebenfalls um über 8% ein, da die Besorgnis über eine Konjunkturverlangsamung in den USA weltweit Wellen schlug.

Der Index der impliziten Aktienvolatilität VIX erreichte einen Höchstwert seit der Pandemie von über 50 Punkten. Damit signalisierte der VIX die erhöhte Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Aktienmärkte.

Die Marktbewegungen der letzten Tage waren zwar dramatisch. Es ist aber wichtig, sie im Zusammenhang mit der zuletzt ausserordentlich guten Entwicklung globaler Aktien zu betrachten. Der S&P 500 ist von seinem Allzeithoch von Mitte Juli um 8,5% gefallen, liegt seit Jahresbeginn aber immer noch 10% im Plus. Für Anlegerinnen und Anleger mit einer Diversifikation unter den Anlageklassen dürfte die Performance auch durch die jüngst gute Entwicklung qualitativ hochwertiger Anleihen etwas abgefedert worden sein.

Was sind die Zusammenhänge?
Das bestimmende Narrativ für die globalen Aktienmärkte hat sich in den letzten Wochen drastisch verändert. Der Optimismus über die künstliche Intelligenz, das robuste Wachstum und potenzielle «Goldene Zwanziger» für Volkswirtschaften und Märkte wich der Besorgnis über eine Rezession in den USA, Bedenken über die Monetarisierung der künstlichen Intelligenz (KI) und dem zunehmenden Risiko eines grösseren Konflikts im Nahen Osten.

Die US-Konjunkturdaten waren zwar bereits seit einigen Monaten schwächer als erwartet, doch die Beschäftigungsdaten vom Freitag lösten offenbar einen Stimmungsumschwung am Markt aus. Der Beschäftigungsbericht enthielt bedeutende negative Überraschungen: Die Zahl der Beschäftigten ausserhalb des Agrarsektors stieg nur um 114 000 und die Arbeitslosenquote zog auf 4,3% an. Damit lag sie über den 4,1% des Vormonats und deutlich über dem Tiefstwert von 3,4% (Mitte Mai 2023).

Vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Arbeitslosigkeit stieg, zog die Aufmerksamkeit auf sich, da sie die Sahm-Regel auslöste. Demnach ist es seit 1960 jedes Mal zu einer Rezession gekommen, wenn der Dreimonatsdurchschnitt der Arbeitslosenquote gegenüber seinem Tiefstwert der vorhergehenden zwölf Monate um über 50 Basispunkte (Bp.) stieg.

Unser Basisszenario
Trotz der schwächeren Beschäftigungszahlen erkennen wir nach wie vor nur ein geringes Rezessionsrisiko. In unserem Basisszenario gehen wir von einer sanften Landung der US-Wirtschaft aus, wobei das Wachstum etwas unter dem Trendniveau von 2% die Talsohle erreicht und die Inflation weiter nachlässt.
Unseres Erachtens ist die Besorgnis der Anleger über eine Rezession aus mehreren Gründen übertrieben:

  • Es kann ein Fehler sein, zu viel in eine einzige Datenmeldung hineinzulesen. So wäre es möglich, dass der Hurrikan Beryl die Schwäche des Arbeitsmarktberichts vom Juli noch verstärkte. Berichten zufolge konnten 436 000 Menschen aufgrund des Wetters nicht arbeiten. Im Vergleich dazu liegt der Durchschnitt für den Juli seit dem Jahr 2000 bei 33 000.
  • Die Sahm-Regel, der zufolge das Tempo der Zunahme der Arbeitslosigkeit ein Vorbote einer Rezession ist, erscheint uns unter den gegenwärtigen Umständen fragwürdig. Die Gesamtzahl der Beschäftigten ausserhalb des Agrarsektors ist im letzten Jahr um 2,5 Millionen gestiegen. Daher ist die höhere Arbeitslosenquote unserer Ansicht nach weniger auf den Abbau von Stellen, sondern hauptsächlich auf ein grösseres Arbeitskräfteangebot zurückzuführen. Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung – ein Indikator der Arbeitskräftenachfrage – ist im historischen Vergleich immer noch niedrig.
  • Die Kommentare im Zuge der Veröffentlichung der Ergebnisberichte deuteten zwar auf eine gewisse Verlangsamung in den Sektoren Werbung, Automobile, Industrie und Software hin, doch die Gewinnmargen sind nach wie vor solide. Das bedeutet, dass die Unternehmen kaum Gründe haben, mit dem Abbau von Stellen zu beginnen. Die Unternehmen im S&P 500 steuern auf ein Wachstum der Gewinne je Aktie von 11% im Jahr 2024 zu.
  • Und nach wie vor befinden sich die Konsumenten und die Konsumausgaben in einer recht guten Verfassung. Die Einzelhandelsumsätze und die Daten der privaten Konsumausgaben im Juni deuten darauf hin, dass sich die Ausgaben nicht verschlechtern, sondern von einem erhöhten Niveau aus normalisieren. Darüber hinaus ist die Finanzlage der Privathaushalte im Grossen und Ganzen gut. Das Wachstum der realen Einkommen ist positiv und die durchschnittlichen Kosten für den Schuldendienst sind im Vergleich zu den historischen Durchschnittswerten niedrig.
  • Die Stimmung im Dienstleistungssektor ist positiv. Das Institute for Supply Management (ISM) meldete, dass sich der ISM-Einkaufsmanagerindex (PMI) für den Dienstleistungssektor im Juli auf 51,4 erholt hat. Insbesondere ist der Auftragseingang kräftig gestiegen und die Zahl der Beschäftigten hat zum ersten Mal seit sechs Monaten zugenommen.
  • Die US-Notenbank Fed hat reichlich Spielraum, um die Wirtschaft und die Märkte zu unterstützen. Die jüngsten Daten stärkten die Zuversicht, dass die Inflation nachhaltig zum Ziel von 2% zurückkehrt. Dadurch kann sich die Fed wieder stärker der Unterstützung des Wachstums und der Beschäftigung widmen. Bei der geldpolitischen Sitzung der letzten Woche bekräftigte der Notenbankvorsitzende Jerome Powell, die Fed werde «sehr sorgfältig beobachten», ob Anzeichen eines deutlichen Abschwungs am Arbeitsmarkt zu erkennen sind. Wir sind jetzt der Ansicht, dass die Fed den Lockerungszyklus wahrscheinlich mit einer Zinssenkung um 50 Basispunkte an ihrer Sitzung im September beginnen wird und den Leitzins im restlichen Jahr 2024 um weitere 50 Basispunkte senkt. Im Jahr 2025 dürften dann weitere Lockerungsschritte folgen.
  • Die Verheissungen der KI sind nach wie vor intakt. Anleger, die Unternehmen bisher für die rasante Steigerung der Investitionen belohnten, sind offenbar abrupt umgeschwenkt und ungeduldig über das Tempo der Monetarisierung geworden. Den Ergebnisberichten für das 2. Quartal zufolge sind die grossen Technologieunternehmen jedoch nach wie vor zuversichtlich, dass die Investitionen in KI-Infrastruktur zu hohen Renditen führen werden. Ausserdem gab es ermutigende Berichte, dass die Monetarisierung der KI allmählich Fahrt aufnimmt.
  • Eine weitere Eskalation im Nahostkonflikt kann immer noch vermieden werden. In den letzten Wochen haben die Risiken in der Region zugenommen und laut US-Aussenminister Antony Blinken sieht es im Augenblick so aus, als würde ein Angriff des Iran und der Hisbollah auf Israel unmittelbar bevorstehen. Doch die jüngste Geschichte deutet darauf hin, dass sich Israel für eine massvolle Reaktion entscheiden wird, wie schon nach den iranischen Drohnen- und Raketenangriffen im April.
  • Der Wahlkampf in den USA könnte eine weitere Volatilitätsquelle sein. Die Wahlkampagne von Vizepräsidentin Kamala Harris um das Weisse Haus hat weiter an Fahrt aufgenommen. Laut der Meinungsanalysewebsite 538 deutete ein Durchschnitt nationaler Umfragen am Freitag darauf hin, dass Harris die Unterstützung von 45% der Amerikaner hat und Trump bei 43,5% steht. Dies liegt innerhalb der Unsicherheitsspanne von 1,5 Prozentpunkten. Demnach hat Harris den Vorsprung aufgeholt, den der ehemalige Präsident Trump gegenüber Präsident Biden, der im letzten Monat aus dem Rennen ausschied, aufgebaut hatte. Eine «blaue Welle», also ein Szenario, in dem die demokratische Partei die Kontrolle über das Weisse Haus und den US-Kongress übernimmt, entspricht indes nicht unserem Basisszenario. Ein solches Ergebnis könnte jedoch zu einer Anhebung der Kapitalertrags- und Unternehmenssteuern führen. Diese Vermutung könnte einige Anleger dazu bewegen, vor einem solchen Schritt Kapitalerträge mitzunehmen.

Welche Auswirkungen würde ein solches Szenario auf die Märkte haben?

  • Aktien: Obwohl die Märkte in der nächsten Zeit volatil bleiben dürften, erwarten wir, dass sich die Befürchtungen über das Wachstum letztlich als unbegründet erweisen werden. Ausserdem sollten sich die Anleger daran erinnern, dass auf Zinssenkungen der Fed, die nicht zu einer Rezession führten, in früheren Zeiten in der Regel hohe Aktienmarktrenditen folgten. Der S&P 500 stieg im Durchschnitt nach der ersten Zinssenkung der Fed um 17%. Inzwischen haben Unternehmen, die 75% der Marktkapitalisierung im S&P 500 ausmachen, ihre Ergebnisse für das 2. Quartal veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigten zwar eine gewisse Abschwächung an. Diese war aber nicht deutlich genug, um unsere Prognose für das Gewinnwachstum zu ändern. Die Unternehmensgewinne dürften im 2. Quartal um 11% bis 12% zum Vorjahr steigen. Dies liegt am oberen Ende unserer ursprünglichen Schätzung. Die Breite der über Erwarten guten Ergebnisse bewegt sich zwar im Rahmen des historischen Durchschnitts, doch die Höhe der positiven Überraschungen ist etwas geringer als üblich. In unserem Basisszenario liegen unsere Kursziele für den S&P 500 zum Ende des Jahres und per Juni 2025 nach wie vor bei 5900 bzw. 6200 Punkten. Wir gehen fortgesetzt von einem Gewinnwachstum von 11% für den S&P 500 im Jahr 2024 (USD 250) und 8% im Jahr 2025 (USD 270) aus.
  • Anleihen: Die Anleihenmärkte dürften ebenfalls volatil bleiben. Falls die Rezessionsängste anhalten und sich die Auflösung von Carry-Trade-Positionen fortsetzt, ist eine weitere Rally bei erstklassigen Anleihen möglich – mit einem entsprechenden Rückgang der Renditen 10-jähriger US-Anleihen. Wenn die künftigen Daten jedoch zeigen, dass die US-Wirtschaft weiter auf eine sanfte Landung zusteuert, wie wir in unserem Basisszenario erwarten, würden wir davon ausgehen, dass sich die Renditen bis zum Ende des Jahres im Bereich von 3,5% bis 4,0% einpendeln. Aus der Portfolioperspektive sind wir nach wie vor der Ansicht, dass die Anleger überschüssige Barmittel in qualitativ hochwertige festverzinsliche Anlagen investieren sollten. Diese können dazu beitragen, das Gesamtportfolio gegen erhöhte Rezessionsbefürchtungen abzufedern.

Was könnte ein negatives Szenario auslösen?
Natürlich müssen wir auch die Möglichkeit berücksichtigen, dass sich die Dinge schlechter entwickeln als in unserem Basisszenario angenommen. Dies könnte durch verschiedene Entwicklungen ausgelöst werden:

  • Sollten die künftigen Daten belegen, dass Arbeitsplätze abgebaut werden, würde dies weitere Hinweise dafür liefern, dass die Geldpolitik der Fed zu lange zu restriktiv war. Wenn mehr US-Amerikaner Angst bekommen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, könnten sie ihre Ausgaben begrenzen, um vorsorglich Ersparnisse aufzubauen.
  • Verlangsamung der KI-Investitionen. Die Investitionen in die KI trieben sowohl die Entwicklung von Chipherstellern an, insbesondere Nvidia, als auch das Cloud-Geschäft von Unternehmen wie Microsoft, Amazon und Alphabet. Sollten die grossen Technologieunternehmen ankündigen, dass sie ihre Investitionspläne kürzen, würden wir uns Sorgen über die Nachhaltigkeit der Gewinne machen. Eine Verlangsamung beim Wachstum der Umsatzerlöse im Cloud-Geschäft würde uns ebenfalls entmutigen. Nicht zuletzt könnten Enttäuschungen über die erwarteten Fortschritte der Chiptechnologie einen Kursrutsch bei Technologieaktien auslösen.
  • Eine Fehleinschätzung Israels oder des Iran, die zu einer bedeutenden Eskalation im Nahen Osten führt, könnte in höheren globalen Risikoprämien resultieren, da die Anleger potenzielle Störungen der Ölversorgung befürchten.
    In einem solchen Szenario würden wir einen drastischen Rückgang des globalen Wachstums erwarten, der durch eine Schwäche der Konsumausgaben und der Arbeitsmärkte sowie eine Reduzierung der Investitionen in die KI ausgelöst werden könnte. Die Zentralbanken würden darauf vermutlich mit schnellen Zinssenkungen reagieren, wodurch die Geldpolitik wieder expansiv würde. Die Fed würde die Zinsen wahrscheinlich deutlich unter die neutrale Leitzinshöhe senken, die wir derzeit auf rund 3% schätzen.

Wie würden sich die Aktien- und Anleihenmärkte in einem solchen Szenario entwickeln?

  • Aktien: In unserem Szenario einer harten Landung rechnen wir mit einem Rückgang des S&P 500 auf rund 4200 Punkte. Diese Bewegung würde durch Abwärtskorrekturen der Gewinnwachstumserwartungen und eine Reduktion der Bewertungskennzahlen ausgelöst.
  • Anleihen: Eine harte Landung würde unseres Erachtens zu aggressiven Zinssenkungen der Fed führen. In diesem Szenario würden wir davon ausgehen, dass die Rendite der 10-jährigen US-Treasuries das Jahr 2024 bei 2,5% beendet. Abgesehen von Kursgewinnen erstklassiger Anleihen würden wir mit Wertzuwächsen anderer relativ sicherer Zufluchtsanlagen wie Gold, dem Schweizer Franken und dem japanischen Yen rechnen.

Empfehlungen
Wir haben bereits während des gesamten bisherigen Jahres 2024 das Thema der «Qualität» bei Anleihen und Aktien unterstrichen. Da die Rezessionsängste zunehmen, bleibt Qualität ein zentrales Thema.

Im Fixed-Income-Bereich würden wir davon ausgehen, dass Qualitätsanleihen in unserem Basisszenario positive Gesamterträge erzielen. Wenn die Rezessionsängste zunehmen, könnten sie sogar noch weiter steigen. Da die Zinsen für Barmittel wahrscheinlich noch schneller fallen dürften, als wir bisher erwartet haben, bleibt es unseres Erachtens für die Anleger wichtig, überschüssige Barmittel in qualitativ hochwertige Anleihen mit mittlerer Duration zu investieren.

Bei Aktien ist Qualität ein Anlagestil, der sich in der Vergangenheit insgesamt überdurchschnittlich gut entwickelt hat, aber während Rezessionen die höchsten relativen Renditen erzielte. Seit 1992 erreichten Qualitätsaktien während Rezessionen eine annualisierte Outperformance von 9% gegenüber den globalen Indizes. (MSCI ACWI Quality Index versus MSCI ACWI). Unternehmen mit soliden Bilanzen und nachweislichem Gewinnwachstum, aber auch Unternehmen, die von strukturellen Wachstumsfaktoren profitieren, dürften relativ gut aufgestellt sein, wenn die Konjunkturängste zunehmen.

Abgesehen davon sehen wir Gold und den Schweizer Franken nach wie vor als interessant an. Die Kosten direkter Absicherungen von Aktienmärkten sind in den letzten Tagen gestiegen. Daher ist eine Diversifikation mit Qualitätsanleihen, Gold und dem Schweizer Franken eine wichtige Möglichkeit, wie Anleger ihre Portfolios gegen eine weitere Volatilität an den Aktienmärkten abschirmen können. Die Schweizerische Nationalbank scheint sich näher am Ende ihres geldpolitischen Lockerungszyklus zu befinden als die meisten anderen Zentralbanken. Ausserdem nehmen wir an, dass Gold von der Diversifikation von Zentralbankreserven, dem Streben von Anlegern in Zufluchtsanlagen sowie der Erwartung schnellerer Zinssenkungen profitieren dürfte.
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