Beat Walser ist ein Vollblutunternehmer, und er weiss, wie schwer ihm das Loslassen fällt. Kaum hatte er die Führung seines Reiseunternehmens Smeraldo Tours im Mai an seine Nachfolgerin Sarah Brandenberger übergeben, reiste er für drei Monate nach Griechenland. Die junge Chefin solle, so sagt Walser, aus seinem Schatten treten – und er selbst will Distanz zu seinem alten Leben als Unternehmer gewinnen.
«Seit der Lehrzeit weiss ich, dass ich eines Tages selbständig arbeiten will»
Sarah Brandenberger
Mit der soeben vollzogenen Transaktion geht für Brandenberger ein Traum in Erfüllung. «Seit der Lehrzeit weiss ich, dass ich eines Tages selbständig arbeiten will», sagt die 29-Jährige. Mit Smeraldo Tours leitet sie nun einen Reiseveranstalter mit 6 Mio. Fr. Umsatz und 9 Mitarbeitern. Spezialisiert ist er auf Reisen nach Süditalien, und zwar im oberen Preissegment. «Billige Last-Minute-Angebote gibt es bei uns nicht», meint Walser.
Viele suchen einen Käufer
Für Gewerbetreibende ist es generell schwierig, einen Nachfolger zu finden. Reiseunternehmen bilden da keine Ausnahme. Viele dieser Firmen seien auf dem Markt, sagen Branchenvertreter. Hingegen gibt es kaum junge Angestellte, welche die nötige Energie aufbringen und Unternehmer werden. Walser, den 66-jährigen Vollblut-Touristiker, erstaunt das. Gemeinsam mit Geschäftspartnern wäre er gar bereit, Firmenübergaben mit seinem Investorenklub mitzufinanzieren.
«Offenbar ist vielen jungen Menschen aber die Work-Life-Balance wichtiger, als unternehmerisch tätig zu sein»
Beat Walser
«Offenbar ist vielen jungen Menschen aber die Work-Life-Balance wichtiger, als unternehmerisch tätig zu sein», vermutet er. Zudem sind die Löhne im Reisesektor verhältnismässig niedrig. Dass sie in einer anderen Branche selbst als Angestellte möglicherweise mehr verdienen würde, ist auch Brandenberger bewusst.
Walser hat sich seit einigen Jahren Gedanken darüber gemacht, wie er seine Nachfolge regeln sollte. Wenn Familienfirmen die Hand wechseln, geschieht das in 40% der Fälle innerhalb der Familie. Diese Lösung stand Walser jedoch nicht offen. Zwar hat er zwei Söhne; einer ist aber Arzt und der andere, obwohl mittlerweile ebenfalls im Reisegeschäft tätig, laut Walsers Einschätzung noch nicht reif fürs Unternehmertum.
Auch nicht infrage kam für Walser der Verkauf an einen Konkurrenten, obwohl immer mehr Gewerbetreibende diese Variante der Nachfolgeregelung wählen. Ein Firmenbesitzer erhält mit einer solchen Transaktion die Chance, seine Einkaufsmacht zu vergrössern und, falls er in der Produktion tätig ist, Skaleneffekte zu erzielen. In manchen gewerblichen Branchen sind so regionale Grossbetriebe entstanden mit einer dreistelligen Anzahl Angestellter.
Vom Lehrling zur Chefin
Auch im Reisebereich findet eine solche Konsolidierung statt, allerdings erst zaghaft. Familiengeführte Anbieter erwerben ähnlich ausgerichtete Betriebe in der Region und runden so ihr Absatzgebiet ab. Schon mehrmals als Konsolidierer in Erscheinung getreten sind auch die beiden mittelgrossen Firmen Globetrotter und Knecht-Reisen. Walser hätte es aber nicht übers Herz gebracht, sein Unternehmen an einen Konkurrenten zu verkaufen. «Smeraldo Tours ist mein Lebenswerk», sagt er.
«Smeraldo Tours ist mein Lebenswerk»
Beat Walser
Seine Nachfolgerin Brandenberger kennt Walser schon lange, denn sie hat bereits die Lehre bei ihm absolviert. 2012 machten sie zusammen einen Fünfjahresplan, wie die Nachfolge ablaufen sollte. Die junge Frau hat unternehmerisches Flair und kennt die Reisebranche – in dieser Hinsicht hatte Walser Glück. Allerdings gibt es bei den meisten Firmenübergaben ein weiteres Hindernis: die Finanzierung. Gerade junge Menschen besitzen meist nicht genügend Kapital, um sich den Einstieg bei einem KMU leisten zu können.
«Geld ist vorhanden»
René Bucheli, Finanzexperte der Gewerbe-Treuhand AG
Immerhin scheint es derzeit einfacher zu sein als auch schon, an Bankkredite zu gelangen. «Geld ist vorhanden», sagt René Bucheli, Finanzexperte der Gewerbe-Treuhand AG. Er hat sogar den Eindruck, dass die Finanzierung einer Nachfolge einfacher ist, als überhaupt einen fähigen Nachfolger zu finden. Gemäss seinen Erfahrungen sollte ein Käufer mindestens 20% der Transaktionssumme mit eigenem Geld finanzieren. Weitere 20% übernimmt der Verkäufer, und den Rest steuert eine Bank bei. Dabei muss der Käufer das Institut davon überzeugen, dass er in der Lage ist, den Kredit in rund fünf Jahren abzuzahlen. Der Verkäufer muss sein Darlehen an die Bank abtreten und erhält sein Geld erst zurück, wenn der Bankkredit getilgt ist.
Brandenberger war allerdings nicht auf einen Kredit angewiesen, da sie erst einen Drittel der Aktien von Smeraldo Tours übernommen hat. Die Kaufsumme dafür hat sie während ihres Berufslebens gespart. Entgegen kam ihr auch, dass Walser erst seit fünf Jahren Mitbesitzer von Smeraldo Tours ist und er in dieser Zeit keine Aufwertung des Firmenwerts vornahm. Er veräusserte Smeraldo Tours also zum selben Preis, zu dem er diese übernommen hatte.
Zweite Karriere als Sanierer
Doch wie konnte sich Walser dieses Entgegenkommen leisten? Immerhin stellt der Erlös aus dem Firmenverkauf für KMU-Eigentümer häufig einen Teil der Altersvorsorge dar. Walser war nicht darauf angewiesen, mit der Weitergabe von Smeraldo Tours ein dickes Geschäft zu machen, da er bereits einmal eine Firma veräussert hat. 2009 hatte er das 20 Jahre vorher von ihm gegründete Reisebüro Passage an die Knecht-Reisen AG verkauft.
Im Zuge dieser Nachfolgeregelung übernahm er bei Kira-Reisen, einer Tochtergesellschaft von Knecht, die Leitung. Damals befand sich der auf Osteuropa und Zentralasien spezialisierte Veranstalter in der Krise, und Walser erhielt von der Knecht-Führung den Auftrag, zum Rechten zu sehen.
Unbehagen in der Grossfirma
Als er diese Aufgabe nach drei Jahren gemeistert hatte, schlug er der Knecht-Führung vor, Smeraldo Tours zu akquirieren. Das Unternehmen befand sich ebenfalls in Familienbesitz, der 67-jährige Eigentümer hatte es aber versäumt, rechtzeitig die Nachfolge einzuleiten. Strategisch war das Unternehmen einseitig auf Sardinien-Reisen ausgerichtet; zudem mussten Marketing und IT auf Vordermann gebracht werden. Die Knecht-Führung sah von einer Akquisition ab, worauf Walser mit zwei Partnern die Firma erwarb. Er wurde also nochmals Unternehmer, obwohl er geglaubt hatte, dieses Kapitel sei mit dem Verkauf von Passage abgeschlossen.
Der Entscheid, sich nochmals selbständig zu machen, fiel Walser insofern leicht, als er sich in grossen Firmen nicht wohl fühlt – erst recht nicht nach 20 Jahren Unternehmertum. Die vielen Regeln empfindet er als einschneidend; schon einige Male haben ihn Vorgesetzte zudem als «nicht führbar» taxiert.
Mit dem Verkauf seines Smeraldo-Tours-Anteils hat Walser seine Karriere als Unternehmer nun abgeschlossen. Ganz loslassen kann er trotzdem nicht. Im Geschäftssitz von Smeraldo Tours wird er weiterhin ein Büro belegen und, beruhend auf einem Freelancer-Vertrag mit der Firma, bedeutende Kunden betreuen. Ende Jahr will er mit seiner Nachfolgerin Bilanz ziehen, ob sich dieses Arrangement bewährt hat.
Zugeständnisse
Laut Aussagen von Bankiers hat der Verkauf der Familienfirma an eine Führungskraft (Management-Buyout) oft den Nachteil, dass aus dieser Transaktion ein niedrigerer Verkaufspreis resultiert als bei einer Veräusserung an Dritte. Führungskräfte können meist keine hohen Summen sparen, weshalb der Eigentümer ihnen wie im geschilderten Fall finanziell entgegenkommen muss. Der Spielraum der Firma würde zudem eingeschränkt, wenn die Transaktion den Käufer stark belastete.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.