Das Leben ändert sich ständig und mit ihm die passende Geldanlage. Das gilt ganz besonders für die Zeit nach der Pensionierung, in der die Anlagestrategie der neuen Lebenssituation angepasst werden muss. Schweizerinnen und Schweizer werden immer älter. Die erhöhte Lebenserwartung ist eine Freude. Anlagetechnisch stellt sie die Pensionierten aber vor neue Herausforderungen, denn Rente und Ersparnisse müssen heute für deutlich mehr Jahre genügen als in früheren Zeiten. Schweizer Männer, die heutzutage pensioniert werden, leben nach der Pensionierung im Schnitt noch fast 22 Jahre lang; Schweizer Frauen sogar mehr als 24 Jahre. Zum Vergleich: Die Generation, die 1900 geboren wurde, lebte nach der Rente durchschnittlich noch 15 Jahre – ihr Sparstrumpf musste deshalb viel weniger lang reichen.
Lücken orten . . .
Damit die heutigen Rentner die durch die erhöhte Lebenserwartung geschenkten Jahre auch wirklich geniessen können, müssen sie einen guten Anlageplan fürs Alter ausarbeiten. Denn wer schlecht plant, riskiert, früher oder später den eigenen Nachkommen finanziell zur Last zu fallen. Das Wichtigste bei der Pensionierung ist ein realistisches Bild der eigenen Finanzlage und des Lebensstandards, den man führen will. Deshalb müssen Senioren in einem ersten Schritt herausfinden, ob ihre Einkünfte aus AHV, Pensionskasse, dritter Säule oder sonstigen Quellen (z. B. Mieteinnahmen von Immobilien, die sie besitzen, aber nicht selbst nutzen) ausreichen, um ihren Lebensunterhalt zu decken. Zur Schätzung der Lebenshaltungskosten hilft ein Blick auf die Jahre vor der Pensionierung: Wie hoch waren die jährlichen Ausgaben im Alter zwischen 60 und 65 Jahren? Spezialisten warnen vor der weitverbreiteten Annahme, die Ausgaben sänken im Rentenalter plötzlich deutlich – hält man am gewohnten Lebensstandard fest, bleiben sie in der Regel recht konstant.
«Das Wichtigste bei der Pensionierung ist ein realistisches Bild der eigenen Finanzlage und des Lebensstandards, den man führen will.»
Besteht zwischen Einnahmen und Ausgaben eine Lücke, muss diese durch den Verzehr eines Teils des angesparten Vermögens gedeckt werden. Deshalb ist es wichtig, in einem ersten Schritt diese Lücke zu beziffern und zu berechnen, wie viel Vermögen reserviert werden muss, um das jährliche Manko während rund zehn Jahren zu finanzieren. Der Teil des Vermögens, der für diesen kontrollierten Verzehr reserviert ist, muss in der Anlagestrategie gesondert behandelt werden. Da dieser Vermögensteil für den laufenden Verzehr gedacht ist, dürfen mit ihm keine Risiken eingegangen werden. Zudem darf er nur in sehr liquiden Anlageformen investiert werden, damit er jederzeit abrufbar ist. Dass mit sehr sicheren, sehr liquiden Anlagen keine Traumrenditen erwirtschaftet werden können, liegt auf der Hand, sollte jedoch niemanden verärgern. Beim sogenannten Verzehrteil geht es nicht darum, die Anlagerendite zu maximieren, sondern einen Teil der Lebenshaltungskosten zu bestreiten.
. . . und decken
Die Summe, die in den ersten zwei Jahren nach der Pensionierung gebraucht wird, kann auf einem ganz normalen Sparkonto gehalten werden. Der Teil, der erst in den Folgejahren benötigt wird, kann hingegen in Kassenobligationen, Termingeldern oder Geldmarktfonds angelegt werden. Sie alle zeichnen sich aus durch hohe Liquidität und tiefes Risiko. Für die zeitlich letzte Tranche des Verzehrteils eignen sich auch Obligationen oder Obligationenfonds höchster Bonität. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Laufzeit der Anleihen mit dem Zeithorizont des Anlegers übereinstimmt; werden die Obligationen nämlich bis zur Fälligkeit gehalten, sind Kursschwankungen während der Laufzeit irrelevant. Deshalb sollte bei der Anlage in Obligationen die Laufzeit so gewählt werden, dass die Rückzahlung just auf den Zeitpunkt fällt, wenn der Verzehr stattfindet.
Der Rest des Vermögens, der nicht zum Verzehr während der ersten Jahre der Pensionierung vorgesehen ist, können Senioren hingegen anlegen.
Anlegen, was übrig bleibt
Bei diesem Anlageteil gehen sie am besten so vor, wie in jedem Alter und in jeder Lebenslage vorgegangen werden sollte: Als Erstes wird das Risikoprofil des Anlegers bestimmt, d. h. seine Risikotragfähigkeit und seine Risikoneigung. Um Erstere zu bestimmen, müssen Senioren die Frage beantworten, auf wie viel Geld sie temporär oder ganz verzichten können, ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Die Risikoneigung ist eine persönliche Angelegenheit und bestimmt sich aus dem emotionalen Umgang mit Risiken: Bereiten potenzielle Verluste schlaflose Nächte? Wie sehr grämt sich jemand über tatsächlich erlittene Verluste? Das auf diese Art und Weise festgelegte Risikoprofil bestimmt dann über die Anlagestrategie, d. h. über die Aufteilung des Anlagevermögens auf die Anlageklassen Aktien, Obligationen und Cash. Personen, die kaum Risiko tragen können und wollen, wählen eine sehr geringe Aktienquote, risikofähige und risikofreudige Personen eine höhere. Für Aktienpositionen sind lange Anlagehorizonte sehr wichtig. Deshalb müssen frischgebackene Rentner wissen, dass sie auf den Teil ihres Vermögens, den sie in Aktien oder Aktienfonds anlegen, für mehrere Jahre (zehn oder mehr) verzichten müssen. Eine günstige Alternative zu Anlagefonds sind Exchange-Traded Funds. Das sind passiv verwaltete Fonds, die einen Aktienindex, beispielsweise den Swiss-Market-Index, abbilden. Bei den Einzelanlagen ist eine ausreichende Diversifikation wichtig, d. h., der Aktienanteil sollte auf 10 bis 15 verschiedene Aktien aufgeteilt werden.
Ruhig und ohne Sorgen
Zu hohe Risiken sollten Rentner mit ihren Anlagen wohl grundsätzlich nicht eingehen. Richtig spekulative Anlageformen wie komplexe gehebelte Produkte sind für die meisten von ihnen deshalb tabu. Das oberste Ziel der Geldanlagen im Alter ist es, mit dem Anlageteil den Verzehrteil über die Zeit hinweg wieder zu ersetzen. Also das Geld, das in den ersten zehn Jahren nach der Pensionierung zur Deckung der Lücke zwischen Einkünften und Ausgaben aufgebraucht wurde, teilweise wieder aufzubauen. So können Rentner auch noch im hohen Alter ihren Lebensabend geniessen – und dabei nachts ruhig schlafen.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.