Fang Liu, CFA
Senior Portfoliomanager, Thematische Aktien

Schlüsselerkenntnisse

  • Die Markteinführung eines neuen Arzneimittels ist ein extrem kostspieliger und zeitaufwendiger Prozess
  • KI-Tools wie ProGen und AlphaFold bieten enormes Potenzial, die Entwicklung von Arzneimitteln zu beschleunigen
  • KI wird derzeit in fast jeder Phase des Arzneimittel-Entwicklungsprozesses eingesetzt, einschliesslich der Zielmolekül-Identifikation und der molekularen Simulationen, der Vorhersage von Arzneimitteleigenschaften, der Entwicklung noch nie dagewesener Arzneimittelmoleküle und klinischer Studien

Auf der Global Technology Conference von Nvidia im März 2024 skizzierte CEO Jensen Huang eine kühne Vision für die Rolle von künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen: „Zum allerersten Mal in der Geschichte der Menschheit hat die Biologie die Möglichkeit, eine Ingenieur-Disziplin zu sein und nicht Wissenschaft .“1 Einige Monate später, im Mai, veröffentlichte Googles DeepMind AlphaFold 3 – das genaueste KI-Modell zur Vorhersage der Proteinstruktur und der bisher entwickelten biomolekularen Wechselwirkungen.2 Einige Forscher/innen glauben, dass es die strukturbiologische Forschung demokratisieren und die Arzneimittelforschung revolutionieren wird.3

Herausforderungen bei der Entwicklung von Arzneimitteln

Arzneimittelentwicklung ist traditionell ein langwieriger und teurer Prozess, der viel Aufwand erfordert. Es dauert oft ein Jahrzehnt und kostet Milliarden von Dollar – investiert in erfolglose klinische Studien, – um ein Arzneimittel aus einem Labor auf den Markt zu bringen. Der Einsatz von KI kann dazu beitragen, den Prozess effizienter zu gestalten, da er zunehmend in jeden Entwicklungsschritt bei neuen Arzneimitteln eingesetzt wird: von der Zielerkennung und dem Finden der Leitsubstanz bis hin zu klinischen Studien.

Auf der Suche nach krankheitsassoziierten Zielmolekülen

Die Arzneimittelentwicklung beginnt mit der Auswahl des richtigen Zielmoleküls – in der Regel ein Protein, das direkt mit einer Krankheit assoziiert ist. Tausende von Zielmolekülen wurden mit biologischen oder biochemischen Methoden entdeckt; einige von ihnen haben die Medizin revolutioniert, zum Beispiel, die Entdeckung des PD-1-Signalweges führte zur Entstehung von PD-1-Checkpoint-Inhibitoren, einem Meilenstein in der Krebs-Immuntherapie.

Trotz der beeindruckenden Anzahl der bisher entdeckten Arzneimittel-Zielproteine wird geschätzt, dass – angesichts des derzeitigen Verständnisses der Genotyp-Phänotyp-Beziehungen und der verfügbarenModalitäten – nur etwa 5% bis 15% dieser Zielmoleküle krankheitsassoziiert sind, d.h. durch Arzneimittel therapeutisch moduliert werden können.4 KI könnte helfen, diese Lücke zu schliessen, indem sie riesige genomische Datenbanken analysiert und neue biologische Erkenntnisse über molekulare Wege oder genetische Verbindungen hervorbringt. Dies kann zur Entdeckung neuer oder besserer Zielmoleküle für die Arzneimittelentwicklung führen. AstraZeneca nutzt zum Beispiel ein grossangelegtes Gen-Editing-Screening, um Gene in Genomen zu modifizieren und nach phänotypischen Ergebnissen zu suchen, die die gewünschten Arzneimittelwirkungen auf Zellen, Gewebe, Organe und den gesamten Körper nachahmen.5

Neue Modalitäten und Moleküle

Sobald das Zielmolekül identifiziert ist, besteht der nächste Schritt darin, ein Molekül zu finden, das mit diesem eine Bindung bildet. Wenn die Oberfläche eines Proteins zu glatt ist und keine Taschen hat, ist es schwierig für Arzneimittel, eine Bindung zu bilden. Ein weiteres Problem könnte sein, dass das identifizierte Zielmolekül zwar tatsächlich als Bindeglied zwischen anderen Proteindomänen dienen kann, denen komplexe Mechanismen zugrunde liegen, die wir immer noch nicht sehr gut verstehen. Diese Zielmoleküle werden als „nicht krankheitsassoziiert“ angesehen.

In den vergangenen Jahren wurden neue Modalitäten entwickelt, um „nicht krankheitsassoziierte“ Proteine wie Antikörper, Zell- und Gentherapien, Peptide, PROTACs (Proteolysis-Targeting Chimeras), um nur einige zu nennen, ins Visier zu nehmen. Mithilfe von Computersimulationen kann KI den Prozess der Auswahl von Leitmolekülen verbessern, indem sie die Eigenschaften dieses Moleküls viel präziser vorhersagt. Wenn kein gewünschtes Molekül verfügbar ist, können KI-Modelle jetzt Moleküle entwerfen, die in der Natur noch nie gesehen wurden, und sie mit gewünschten pharmakologischen Eigenschaften ausstatten.

Dekodierung der Sprache von Proteinen zur Verbesserung ihrer Eigenschaften

Proteine haben ihre eigene (Programmier-)Sprache. Wie Forscher/innen treffend formulierten, „können Proteinsequenzen als eine Verkettung von Buchstaben aus einem chemisch definierten Alphabet, den natürlichen Aminosäuren, beschrieben werden, und wie in menschlicher Sprache ordnen sich diese Buchstaben und bilden sekundäre Strukturelemente („Wörter“), die sich zu Domänen („Sätzen“) zusammensetzen, die wiederum eine Funktion („Bedeutung“) übernehmen.“6

Mittels natürlicher Sprachverarbeitung (maschinelles Lernen, um die Struktur und Bedeutung von Sprachdatensätzen aufzudecken) ist es nun möglich, Proteine so "im Rückwärtsgang zu entwickeln", dass sie spezifische Eigenschaften und Funktionen haben. KI-Programme wie das ProGen von Salesforce sind in der Lage, Aminosäuren-Sequenzen zu künstlichen Proteinen zusammenzufügen, die in der Natur nicht existieren, wenn sie zum Beispiel angewiesen werden, ein Protein mit spezifischen Eigenschaften wie „weniger Nebenwirkungen“ zu finden.

ProGen und AlphaFold helfen bei der Entwicklung neuer Proteine

ProGen „lernte“ die Proteinsprache, die auf einer Datenbank von Aminosäuren in Hunderten von Millionen von verschiedenen Proteinen basiert. Die künstlichen Proteine sind "grammatisch und semantisch" naturalistisch und weisen starke Bioaktivitäten auf, so die Forscher/innen.7 Ein weiteres KI-Programm, AlphaFold, kann die 3D-Struktur eines Proteins aus seiner Aminosäuresequenz vorhersagen. Interessanterweise fanden Forscher/innen heraus, dass „künstliche Entwürfe viel besser abschneiden als solche, die vom evolutionären Prozess inspiriert sind“.

Bild 1: AI-enabled protein design/KI-gestütztes Proteindesign

Bild, das drei Phasen des KI-fähigen Prozesses der Entwicklung eines Proteins darstellt.

Bild, das drei Phasen des KI-fähigen Prozesses der Entwicklung eines Proteins darstellt.

KI verbessert Design und Durchführung klinischer Studien

Die Integration von KI in klinische Studien kann deren Effizienz erheblich verbessern und den Gesamtprozess beschleunigen. KI kann elektronische Krankenakten und andere Patientendaten analysieren, um potenzielle Kandidaten zu identifizieren. Biosimulationsmodelle nutzen die Mustererkennung, um die Dosierung zu optimieren, Arzneimittelwechselwirkungen vorherzusagen und die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu bestimmen. Zudem hat sich KI als hervorragendes Instrument bei regulatorischen Fragen erwiesen, wenn Medikamente die Zulassung durch Regulierungsbehörden durchlaufen.

Moderna, das Biotech-Unternehmen, das für die Entwicklung eines der COVID-19-Impfstoffe bekannt ist, hat 750 GPTs8 entwickelt, um interne Aufgaben und Prozesse zu erleichtern. Modernas CEO Stephane Bancel setzt grosse Hoffnungen auf KI: „… wir nutzen sie in grossem Ausmass, um alle Geschäftsprozesse von Moderna neu zu erfinden, in der Wissenschaft, im Recht, in der Fertigung – überall.“9

Der Begriff Modularität in der Biologie

Das Aufkommen von Technologien wie der genomischen Sequenzierung und den nachfolgenden Geneditierungstools lässt Biologie konzeptionell einer Ingenieur-Disziplin ähneln. Aus dieser Perspektive werden Nukleotide zu DNAs, Aminosäuren zu Proteinen, Proteinen zu Zellen und Zellen zu Organen zusammengesetzt. Stellen Sie sich vor, jedes Biologie-Modul – unabhängig von seiner Grösse – hat unterschiedliche Eigenschaften und Funktionen. Können wir, sobald diese Module vollständig verstanden sind, Biologie zusammenbauen, so wie wir Lego aufbauen?

Von der Biologie zum Ingenieur

Wenn auch zu einem noch frühen Zeitpunkt, hat KI bereits vielversprechende Ergebnisse geliefert. Sie wurde erfolgreich in verschiedenen Stadien der klinischen Studien in der Arzneimittelentwicklung eingesetzt, hat uns geholfen, die menschliche Biologie zu verstehen, neue Moleküle geschaffen und sogar klinische Studien entworfen. Das Potenzial von KI wird nur wachsen, wenn es weiterhin auf ständig wachsende Datensätze geschult wird. Die wahre Wirkung von KI wird erst zutage treten, wenn KI-entwickelte Arzneimittel klinische Studien erfolgreich abschliessen. Bis dahin könnte die Skepsis anhalten.

Es mag zwar nach Science Fiction klingen, aber die Idee, Biologie in Ingenieurwesen zu verwandeln, ist konzeptionell faszinierend. Für einige KI-Protagonisten steht die Ankunft von AGI (Artificial General Intelligence)10 kurz bevor. Wir haben gute Gründe zu der Annahme, dass das nächste Jahrzehnt für Medizin und Biologie besonders spannend sein könnte und eine Fülle attraktiver Anlagechancen schaffen könnte.

S-06/24 NAMT-1129

Über den Verfasser
  • Fang Liu

    CFA, Portfolio manager, Thematic Equities

    Fang Liu (M. A., CFA), Director, ist Senior Portfolio Manager der Strategie Digital Health Equity der Credit Suisse. Sie wurde 2020 Mitglied des Teams Thematic. Zuvor arbeitete sie drei Jahre lang für die Calibrium AG und befasste sich sektorenübergreifend mit globalen Aktien. Von 2015 bis 2017 war sie Aktienanalystin für thematische Fonds bei Lombard Odier. Sie begann ihre Karriere 2011 als wissenschaftliche Forscherin bei IMD, wo sie sich auf Konzernstrategie und Innovation in den Sektoren Konsumgüter sowie Technologie, Medien und Telekommunikation in China und Europa konzentrierte. Fang Liu besitzt einen Masterabschluss in Management der Universität Lausanne und ist Co-Autorin eines Buches zum Thema Globalisierung sowie CFA Charterholder.

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