China und Net Zero
Eine existenzielle Frage der Nachhaltigkeit
Nur mit China können wir Net Zero erreichen. Westliche Investoren müssen deshalb ideologische Differenzen beiseiteschieben und versuchen, China in seinem gesamten Kontext zu verstehen, argumentiert Lucy Thomas.
Zunächst eine Analogie. Das Konzept der Übergangsinvestitionen hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Strategien für den Klimawandel enthalten in der Regel zwei Anlageformen: Lösungsanbieter und Verbesserer. Zu letzteren gehören oft Unternehmen, die aus Net-Zero-Perspektive noch nicht nachhaltig sind.
Solche Investitionen werden in der Annahme getätigt, dass sie sich verbessern werden und weil sie für die Abkehr von fossilen Brennstoffen entscheidend sind. Schließlich ist die Dekarbonisierung des eigenen Portfolios nicht dasselbe wie die Dekarbonisierung der Wirtschaft - und auch wenn man durch die Veräußerung sein Gewissen beruhigen kann, ist es unwahrscheinlich, dass dies zum ökologischen Wandel der Weltwirtschaft beiträgt.
Der Klimawandel stellt für Anleger ein systemisches Risiko dar, das nicht durch ein Portfolio allein bewältigt werden kann. Stattdessen ist eine Dekarbonisierung der ganzen Welt erforderlich.
Das bedeutet, dass alle Länder und Regionen der Welt Net Zero erreichen müssen.
Kapitalallokatoren müssen daher betrachten, wie ihre globalen Investitionsentscheidungen die Emissionsentwicklung in der Realwirtschaft beeinflussen, auch wenn sie die positiven oder negativen Auswirkungen auf ihre Portfolios und künftige Renditen dieses Vorhabens berücksichtigen. Natürlich müssen Unternehmen und politische Entscheidungsträger in China ihren Teil dazu beitragen, aber auch die Investoren müssen mit ihrem Kapital sprechen, ihre Ansichten über Chinas Rolle auf dem Weg zum Net-Zero-Emissionshandel verdeutlichen und mit den Investitionsentscheidungen in ihren Portfolios Fortschritte unterstützen.
Werfen wir einen Blick auf die Fakten.
Auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft
Auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft
Chinas Präsident Xi Jinping hat sich dazu verpflichtet, bis 2060 Net Zero zu erreichen. Vielleicht noch wichtiger ist jedoch, dass China sich auch zur Aufgabe gemacht hat, bis 2030 den Höchstwert seiner CO₂-Emissionen zu erreichen, da diese weiterhin stetig ansteigen – wobei ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Carbon Brief diesbezüglich hoffnungsvoll stimmt.1 Dies unterstreicht das Ausmaß der kurzfristigen Klimaschutzverpflichtungen, die das Land eingeht und die angesichts des Ziels für 2060 vielleicht nicht offensichtlich erscheinen. Um dieses Ziel zu erreichen, haben lokale Regierungen Ansätze zur Dekarbonisierung entwickelt, die sowohl kurzfristig (z. B. preisbasierte Marktmechanismen, grüne Anleihen) als auch langfristig (z. B. F&E im Bereich der Klimatechnologie) angelegt sind. In Schlüsselsektoren wie Verkehr und Energie, aber auch in störrischen Sektoren wie der industriellen Fertigung werden Fortschritte erzielt. Diese Entwicklungen wirken sich auf die globalen Märkte aus.
Es wird viel über die anhaltende Abhängigkeit von Kohle in der chinesischen Energieversorgung gesprochen. Angesichts der Spitzenlastkapazitäten, der Stromausfälle im Inland und der zunehmenden Sorge um die Energiesicherheit scheint China einen pragmatischen Ansatz zu verfolgen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Doch das langfristige Ziel der Kohlenstoffneutralität bleibt klar. Die heikle Gratwanderung besteht darin, die Zwischenziele zu erreichen; schließlich interessieren sich klimatische und ökologische Kipppunkte nicht für innenpolitische Herausforderungen und geopolitische Ausreden.
In den meisten Fällen würden marktbasierte Instrumente eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung spielen. In China ist das ein wenig anders. Sein Emissionshandelssystem (ETS) steckt noch in den Kinderschuhen, zum Teil weil China weniger an kurzfristigen Maßnahmen wie preisbasierten Marktmechanismen interessiert ist. Stattdessen ist das Land auf Langfristigkeit bedacht; die staatliche Übergangspolitik hat die Grundstoffindustrie bereits dazu veranlasst, in F&E zu investieren, darunter auch Übergangstechnologien, die noch nicht wirtschaftlich sind (z. B. CCS, Wasserstoff).
In vielerlei Hinsicht haben in China Energiesicherheit und damit die Entwicklung von Dekarbonisierungstechnologien gegenüber dem Kohleausstieg Vorrang. Der Bau hocheffizienter Kohlekraftwerke soll dem Land helfen, den Spitzenemissionswert zu erreichen, indem alte Kraftwerke ersetzt werden, doch das geschieht nicht schnell genug. Hierbei handelt es sich um eine riskante Strategie, aber eine vollständige Abkehr von der Kohle hat keine Priorität.
Ein Vorreiter bei erneuerbaren und sauberen Energien
Ein positiver Aspekt ist, dass Chinas Vorreiterrolle bei umweltfreundlichen Technologien weltbekannt ist. Auch wenn einige der zugrundeliegenden Motive kommerzieller und geopolitischer Natur sein mögen, so spiegelt sich darin doch ein strategisches Engagement für die Dekarbonisierung wider.
Chinas Erfolg in diesem Bereich ist unbestreitbar. Nachdem China 80 % der Lieferkette für Solarpaneele² erobert hat und kürzlich zum weltweit größten Hersteller von Elektrofahrzeugen³ aufgestiegen ist, blickt ein Großteil der Welt neidisch auf das Land. Man versucht krampfhaft, entweder nachzuziehen oder zumindest für die Diversifizierung der globalen Versorgung mit erneuerbaren Energien zu sorgen. In der Zwischenzeit hat China die Deflation im Bereich der erneuerbaren Energien in andere Teile der Welt exportiert, indem es die Kosten für seltene Erden gedrückt hat. Die Preise sind auf den niedrigsten Stand seit Ende 2020 gesunken, da die schwache Nachfrage von Unternehmen der grünen Energiebranche und des Automobilsektors mit einem steigenden Angebot aus China zusammengefallen sind.⁴
Doch obwohl China weltweit dominiert, befindet sich seine Wirtschaft weiterhin im Umbruch.
Die EIA kommt zu dem Schluss, dass „Chinas Innovationssystem angemessen genutzt werden muss, um das breite Spektrum der benötigten kohlenstoffarmen Energietechnologien zu fördern“. In einem Kommentar zum jüngsten Fünfjahresplan, heißt es weiter: „Die derzeitigen politischen Anreize in China eignen sich besser für Großtechnologien, wie CCUS und Bioraffinerie, als für Netzinfrastrukturen und verbrauchernahe Produkte, die Chinas derzeitige Stärken in der Produktion sind."⁵
Klimafinanzierung
Ein wichtiger Teil des Übergangs zu Net Zero ist dessen Finanzierung. Grüne Anleihen haben in China ein explosionsartiges Wachstum erlebt, da das Land eine Führungsposition im Bereich der Klimafinanzierung anstrebt. In der Green Bond Database (GBDB) der Climate Bonds Initiative sind 85,4 Milliarden USD (575,2 Milliarden RMB) – und damit der größte Wert weltweit – verzeichnet.
China hat in den letzten Jahren ein unglaubliches Wachstum der grünen Finanzierung verzeichnet, was den raschen Fortschritt bei sauberen Energien, kohlenstoffarmem Verkehr und in anderen Bereichen widerspiegelt,
sagt Sean Kidney von der Climate Bonds Initiative. Er fährt fort: „Es gibt noch sehr viel zu tun, vor allem bei der Umstellung der Energie- und Industriesektoren. Grüne Anleihen und Übergangsanleihen werden dazu beitragen, diesen Wandel voranzutreiben.“6
Abbildung 5: Chinas Emission grüner Anleihen nahm 2022 weiter zu
Wie Kidney anmerkt, gibt es noch viel zu tun, da der Anteil der grünen Anleihen im Vergleich zu Chinas gesamten Emissionen auf dem Onshore-Markt unter 2% liegt. Mit der Ausweitung des Marktes wird jedoch auch die Vielfalt der Emittenten und Anleger zunehmen.
Während Chinas SOEs bei der Emission thematischer Anleihen dominiert haben, ist damit zu rechnen, dass sich dies auf öffentliche und private Organisationen ausweiten wird und sowohl inländische als auch internationale Investoren teilnehmen werden.
Chinas groß angelegter Übergang wird zweifelsohne neue Möglichkeiten für verschiedenste Investoren schaffen.
Programmatische Sicherheit und die Suche nach einer gemeinsamen Basis
Spannungen innerhalb Environmental, Social and Governance (ESG) sind bereits bekannt. In den USA sind ESG und nachhaltiges Investment zu Themen geworden, das sich konservative Republikaner und liberale Demokraten wie ein Tennisball zuspielen. Ebenso extrem ist die Kluft zwischen dem Westen und China und könnte überdies westliche Investitionen in die chinesische Energiewende beeinflussen.
Es scheint, als brauchten wir eine greifbare gemeinsame Basis.
Es vergeht kaum ein Tag ohne einen weiteren Aufruf der (westlichen) nachhaltigen Investmentgemeinschaft zu einem größeren Maß an programmatischer Sicherheit und Engagement für Net Zero. Doch in der Verachtung von ineffizienten Entscheidungsprozessen und politischer Lähmung ist nicht einmal ein Hauch an Selbstreflexion oder Ironie zu spüren.
Man behalte im Kopf, dass CO₂-Neutralität für Chinas langfristiges Wachstum und seinen Wohlstand von entscheidender Relevanz ist. Der Weltbank zufolge ist China auf einem guten Weg, zu einer CO₂-neutralen Wirtschaft überzugehen und seine Klimaverpflichtungen zu erfüllen und gleichzeitig sein Wirtschaftswachstum fortzusetzen.⁷ All seinen vermeintlichen Mängeln zum Trotz ist Chinas politisches System dazu in der Lage, schnell zu mobilisieren und einen langfristigen Kurs mit großer programmatischer Sicherheit festzulegen. Dabei muss auch die unternehmerische und sozialbewusste Seite der chinesischen Gesellschaft beachtet werden. Nehmen wir zum Beispiel die Umweltverschmutzung:
Aufgrund des zunehmenden Bewusstseins und der wachsenden Frustration über die städtische Verschmutzung haben eine Reihe politischer Maßnahmen seit 2014 zu einem raschen Rückgang der Feinstaubbelastung geführt.
Der außerordentliche Erfolg der Blue Map App – die ermöglicht, die Luftqualität zu erheben und im Jahre 2021 Finalist des Earthshot-Preises war – ist beispielhaft für die komplexe positive Rückkopplungsschleife zwischen Innovation und zivilem Engagement. Auf der offiziellen Website von Earthshot heißt es: „Die Blue Map App verkörpert die Macht von Transparenz und Rechenschaft. Sie lehrt uns außerdem eine Lektion – dass eine Verbindung zwischen Innovation und gesellschaftlicher Beteiligung Fortschritt hervorbringt.“
Für einige im Westen sind China und Nachhaltigkeit jedoch nicht miteinander vereinbar. Aber wie Dr. Keyu Jin es sagt: „Selbst wenn man in Chinas Ansatz eine gewisse Logik erkennt, heißt das nicht, dass man ihn in seiner Gänze unterstützt.“⁸ Und in den Worten der Kommunistischen Partei selbst gilt es, „mit der Zeit voranzuschreiten“ (yu shi ju jin).
Chinas Zukunft ist, wie die aller anderen Länder auch, noch nicht in Stein gemeißelt. Die Bewältigung klimatischer Risiken zugunsten großer Vermögenseigentümer (Universaleigentümer) und der globalen Umwelt machen es deshalb für Anleger unabdingbar, eine differenziertere Perspektive einzunehmen.
Denn wenn China scheitert, scheitern wir alle.
Der China-Komplex
Der China-Komplex
Diese Sonderausgabe von Panorama ist China gewidmet und bietet eine umfassendere Sichtweise auf das Land aus der geopolitischen, nachhaltigen, wirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Perspektive.
Über den Verfasser
Lucy Thomas
Head of Sustainable Investing and Impact
Lucy Thomas gehört UBS Asset Management seit Januar 2022 als Head of Sustainable Investing and Impact an. Zuvor wirkte sie als Head of Investment Stewardship bei Tcorp, wo sie ein Rahmenkonzept für nachhaltige Anlagen erarbeitete und als Mitglied des Management Investment Committee ein verwahrtes Vermögen von 110 Mrd. US-Dollar beaufsichtigte. Auf einer früheren Station ihrer Laufbahn war sie Global Head of Sustainable Investment bei Willis Towers Watson (2014-2018). Lucy Thomas ist Mitglied der Arbeitsgruppe Klimabezogene Finanzberichterstattung (TCFD) und der Investor Advisory Group des IFRS International Sustainability Standards Board. Sie ist erfolgreiche Absolventin der Prüfung zum Chartered Financial Analyst (CFA).
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