Ein Unternehmerstaat
China strebt danach, die Innovationssupermacht des 21. Jahrhunderts zu werden. Wird dies gelingen?
Mit der voranschreitenden vierten industriellen Revolution und dem schrumpfenden Zeitraum für Net Zero wird Fortschritt weltweit immer mehr von technologischen Innovationen abhängen. Diejenigen Länder, die in wichtigen Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), Quantencomputern und sauberen Energien eine Führungsrolle aufbauen und verteidigen können, werden wahrscheinlich sowohl politisch als auch wirtschaftlich enorme Vorteile ernten – eine Tatsache, die China seit langem erkannt und in seiner Industriepolitik verankert hat. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit Chinas staatszentriertes Modell die Bemühungen um eine Technologiedominanz in mehreren strategischen Sektoren unterstützen oder untergraben wird.
Der Staat als Katalysator für Innovation
Der Staat als Katalysator für Innovation
Das Smartphone ist wahrscheinlich die allgegenwärtigste Innovation in unserem heutigen Leben – es fesselt unsere Aufmerksamkeit so sehr, dass die meisten von uns sich nie freiwillig davon trennen würden.
Tatsächlich betrachten viele das Smartphone als einen beispielhaften Triumph privatwirtschaftlicher Innovationen: als einen physischen Beweis für die Macht des Kapitalismus, Anreize für lebensverändernde Produkte und Dienstleistungen zu schaffen und diese zu verwirklichen.
Mariana Mazzucato erinnert uns jedoch in ihrem Buch The Entrepreneurial State: 1 „Während die Produkte ihr wunderschönes Design und ihre raffinierte Integration dem Genie von Jobs und seinem großen Team verdanken, ist nahezu jede hochmoderne Technologie, die im iPod, iPhone und iPad zu finden ist, eine oft übersehene und vernachlässigte Errungenschaft staatlicher und militärischer Forschungsanstrengungen und Finanzierungen.“
Beweisstück 1: Was macht das iPhone so „smart“?
Beweisstück 1: Was macht das iPhone so „smart“?
Diese technologischen Wurzeln anzuerkennen, bedeutet jedoch nicht, dem iPhone seinen spektakulären Nutzen abzusprechen. Natürlich bleibt die Kombination dieser exakten Technologien in dieser exakten Weise eine besondere Leistung kommerzieller Kreativität, von der Apple bis heute profitiert. Innovation erfolgt in allen Bereichen schrittweise; die Durchbrüche von heute basieren auf jenen vorangegangener Generationen.
Aber die technologische Analyse des iPhones bringt wichtige Nuancen in Debatten über Innovation und die Frage, welche Bedingungen sie am besten hervorbringen. Dogmatische Wirtschaftsliberale idealisieren Innovation oft als einzigartiges Phänomen des Kapitalismus, als Wirtschaftswunder, das durch freien Wettbewerb entsteht und trotz der ‚toten Hand‘ des Staats gelingt.
Laut Mazzucato handelt es sich hierbei bestenfalls um eine Vereinfachung und schlimmstenfalls um einen Widerspruch zur Realität. Ihr zufolge kommt dem Staat in der Innovationskette eine Schlüsselrolle zu. Durch seine Bereitschaft, das Riskante, Theoretische und Teure zu übernehmen, hat er oftmals den Grundstein gelegt, auf dem private Unternehmen die größten kommerziellen Durchbrüche der Welt erzielt haben.
Die jüngere Geschichte liefert zahlreiche Belege für solche Argumente. Mike Nell, leitender Aktienanalyst und Portfoliomanager bei UBS Asset Management, betont,
Das US-Raumfahrtprogramm der 1950er und 60er Jahre brachte eine Fülle von Technologien, die später mit herausragendem Erfolg kommerzialisiert wurden. Darunter Satelliten, Mikrochips, Wasserfiltersysteme und Milchpulver für Säuglinge.
In Asien wird Südkoreas Einstieg in die Halbleiterspeicherindustrie oft als Paradebeispiel für den sogenannten ‚Entwicklungsstaat‘ betrachtet und hat natürlich überwältigende Erfolge erzielt.
Vor diesem Hintergrund dürften sich die optimalen Bedingungen für Innovation aus einem Zusammenspiel staatlicher und privater Institutionen ergeben, wobei erstere grundlegende Infrastrukturen und bahnbrechende Technologien fördern und letztere diese mit Fokus auf die Verbrauchernachfrage aufbauen und iterieren. Diese Denkweise hat einst populären Ideen der Industriepolitik neues Leben eingehaucht, die jetzt in den USA und Europa ausgegraben werden, wo Regierungen Schlüsselindustrien in einem Streben nach strategischer Selbstversorgung wieder direkt unterstützen.
Chinesischer Exzeptionalismus
Sollten Mazzucatos Annahmen im Großen und Ganzen richtig sein, welche Implikationen haben sie dann für die Analyse Chinas, einem riesigen, aktivistischen Staat mit der erklärten Absicht, die Vorherrschaft über eine Reihe strategisch wichtiger Technologien zu erlangen?
Ehe wir uns zu sehr hinreißen lassen, ergänzt Nell wichtige Nuancen, die wir Chinas Ansatz betreffend berücksichtigen sollten.
Die Regierung der USA wollte mit ihren Investitionen in die Entwicklung wichtiger Smartphone-Technologien nie die „Verbrauchertechnologien von morgen“ erfinden.
Stattdessen scheint China diesen Schritt zu überspringen und Technologien zu finanzieren, die wahrscheinlich auf Verbrauchermärkte ausgerichtet sind. „Dies ähnelt eher der Industriepolitik des japanischen MITI der 70er und 80er Jahre als den Bemühungen von DARPA und des Weltraumprogramms der USA,“ sagt er.
Ungeachtet dessen wurden Chinas Ambitionen, zu einer Innovations-Supermacht zu werden, klar von seiner Regierung kommuniziert. In diesem Streben hat es bemerkenswerte Erfolge erzielt, insbesondere bei der schrittweisen Verbesserung von dem, was Dr. Keyu Jin von der London School of Economics als ‚One-to-N‘- Innovationen von ‚Zero-to-One‘-Innovationen bezeichnet: schrittweise Verbesserungen von wahrlich grundlegenden Durchbrüchen.1 Während China als Kopierer westlicher Technologien abgetan wurde, produziert es jetzt eigene weltweit führende Technologien und chinesische Unternehmen werden überall von sozialen Medien bis hin zu Online-Zahlungen, von ihren Wettbewerbern kopiert. Dem Weltwirtschaftsforum zufolge hat China über 300 Einhörner hervorgebracht und nur unwesentlich weniger Startkapital erhalten als die USA.
Hyperadaptiv und hyperadoptiv
Wie hat China all das erreicht? Der so genannte Unternehmerstaat hat eindeutig seinen Teil dazu beigetragen. Chinas Bereitschaft, als eigenes Risikokapitalunternehmen zu agieren, aufstrebende Industrien vor der Konkurrenz zu schützen und stark in die Ausbildung in Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und Technik (MINT) sowie in Forschung und Entwicklung (F&E) zu investieren, ist allgemein bekannt. Aber das sind nicht die einzigen Faktoren; wie Dr. Jin betont, profitiert China von einer Reihe weiterer wichtiger Merkmale.
Zum Beispiel herrscht auf dem chinesischen Markt ein ebenso harter Wettbewerb wie anderswo. Sein verglichen mit den USA und Europa relativ niedriges Entwicklungsniveau hat es China ermöglicht, von Technologiesprüngen zu profitieren und beispielsweise im digitalen Zahlungsverkehr völlig neue Technologiewelten zu entwickeln, ohne von Altsystemen zurückgehalten zu werden.
Die pure Größe des chinesischen Binnenmarktes ist ein weiterer, oft vernachlässigter Faktor: Wenn Daten tatsächlich das neue Öl sind, dann sind chinesische Unternehmen, die mit bis zu 1,4 Milliarden Verbrauchern interagieren können, reicher als irgendwo sonst. Der Zugang zu einem solchen Markt bietet chinesischen Innovatoren eine beispiellose Anzahl an Transaktionen und Interaktionen, aus denen sie lernen können – ein Prozess, der einem eingebauten Innovationsvorteil gleichkommt.
Laut dem Harvard Business Review (HBR) ist es nicht nur die Größe des chinesischen Markts, sondern seine einzigartigen Merkmale, die diesen Vorteil ausmachen. Da chinesische Verbraucher bereits ein außergewöhnliches Maß an Veränderungen erlebt haben, sind sie besonders empfänglich für die schnelle soziale und technologische Entwicklung. Das macht sie zu unglaublich bereitwilligen Anwendern innovativer Technologien.2
Wie Zak Dychtwald im HBR Beitrag argumentiert:
„Es ist dieser Aspekt der chinesischen Innovationswelt – Hunderte Millionen hyperadoptiver und hyperadaptiver Verbraucher – der das Land heute weltweit so wettbewerbsfähig macht.
Letztlich müssen Innovationen daran gemessen werden, ob die Menschen dazu bereit sind, sie zu nutzen. In dieser Hinsicht ist China konkurrenzlos.“3 Tatsächlich wurde Apple Pay bis 2019 von weniger als 25% der Amerikaner genutzt, während WeChat Pay unter Chinas Smartphone-Nutzern fast allgegenwärtig war.4
Technologiemonopol
Einen besonders detaillierten Blick auf Chinas Innovationsprofil bietet eine Studie des Australian Strategic Policy Institute (ASPI). Und obwohl ihr Critical Technology Tracker nur eine von vielen Quellen ist, hat sie eine große Anzahl strategisch wichtiger Technologien hervorgehoben, in denen China bereits dominiert, sowie viele weitere, in denen es gut genug aufgestellt ist, umein‚Technologiemonopol‘ zu erlangen, wie das ASPI es nennt.
Das ASPI hat die Veröffentlichung des Trackers im März genutzt, um zu warnen, dass „China die Grundlagen geschaffen hat, um sich als weltweit führende Wirtschafts- und Technologie-Supermacht zu etablieren, indem es sich in der hochwirksamen Forschung in den meisten kritischen und aufstrebenden Technologien einen teilweise atemberaubenden Vorsprung erarbeitet.
Dem ASPI zufolge hat China diese Position durch die Konzentration von technologischem Fachwissen erreicht, ein bewusstes strategisches Ziel, das auf einer starken Bildung basiert und durch die Dominanz von MINT- Forschern und -Institutionen, erhebliche Investitionen in die F&E von Wissenschaft und Technologie, sowie die direkte Unterstützung strategischer Industrien untermauert wird.
Wie bei jedem Versuch, Komplexitäten und Dynamiken zu quantifizieren, kann der ASPI-Tracker methodisch infrage gestellt werden, aber die breite Ausrichtung seiner Schlüsse ist sicherlich diskussionswürdig, und Chinas technologischer Fortschritt wird im Westen zunehmend anerkannt.
Tatsächlich ziehen diese Beobachtungen eine Reaktion nach sich, da sich sowohl Regierungen als auch multinationale Unternehmen darum bemühen, ihre Produktionskapazitäten zurückzugewinnen und ihre Lieferketten zu schützen. Das Nettoergebnis für die Weltwirtschaft dürfte eine verminderte Produktionseffizienz sein, da Investitionsgüter und Produktionskapazitäten wieder nach Europa und in die USA verlagert werden und sich nicht mehr auf Kompetenzzentren wie Taiwan konzentrieren.
Table 1: Lead country and technology monopoly risk
Technology | Technology | Lead country | Lead country | Technology monopoly risk | Technology monopoly risk |
---|---|---|---|---|---|
Technology | Advanced materials and manufacturing | Lead country | - | Technology monopoly risk | - |
Technology | 1. Nanoscale materials and manufacturing | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | 2. Coatings | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | 3. Smart materials | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 4. Advanced composite materials | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 5. Novel metamaterials | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 6. High-specification machining processes | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 7. Advanced explosives and energetic materials | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 8. Critical minerals extraction and processing | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 9. Advanced magnets and superconductors | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 10. Advanced protection | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 11. Continuous flow chemical synthesis | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 12. Additive manufacturing (incl. 3D printing) | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | Artificial intelligence, computing and communications | Lead country | - | Technology monopoly risk | - |
Technology | 13. Advanced radiofrequency communications (incl. 5G and 6G) | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | 14. Advanced optical communications | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 15. Artificial intelligence (Al) algorithms and hardware accelerators | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 16. Distributed ledgers | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 17. Advanced data analytics | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 18. Machine learning (incl. neural networks and deep learning) | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 19. Protective cybersecurity technologies | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 20. High performance computing | Lead country | USA | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 21. Advanced integrated circuit design and fabrication | Lead country | USA | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 22. Natural language processing (incl. speech and text recognition and analysis) | Lead country | USA | Technology monopoly risk | Low |
Technology | Energy and environment | Lead country | - | Technology monopoly risk | - |
Technology | 23. Hydrogen and ammonia for power | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | 24. Supercapacitors | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | 25. Electric batteries | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | 26. Photovoltaics | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 27. Nuclear waste management and recycling | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 28. Directed energy technologies | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 29. Biofuels | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 30. Nuclear energy | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | Quantum | Lead country | - | Technology monopoly risk | - |
Technology | 31. Quantum computing | Lead country | USA | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 32. Post-quantum cryptography | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 33. Quantum communications (incl. quantum key distribution) | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 34. Quantum sensors | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | Biotechnology, gene technology and vaccines | Lead country | - | Technology monopoly risk | - |
Technology | 35. Synthetic biology | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | 36. Biological manufacturing | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 37. Vaccines and medical countermeasures | Lead country | USA | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | Sensing, timing and navigation | Lead country | - | Technology monopoly risk | - |
Technology | 38. Photonic sensors | Lead country | China | Technology monopoly risk | High |
Technology | Defense, space, robotics and transportation | Lead country | - | Technology monopoly risk | - |
Technology | 39. Advanced aircra engines (incl. hypersonics) | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 40. Drones, swarming and collaborative robots | Lead country | China | Technology monopoly risk | Medium |
Technology | 41. Small satellites | Lead country | USA | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 42. Autonomous systems operation technology | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 43. Advanced robotics | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Technology | 44. Space launch systems | Lead country | China | Technology monopoly risk | Low |
Produktivität und Profit
Nell stimmt zu, dass Chinas technologische Ambitionen teilweise vorzeitig abgetan wurden und die erheblichen Investitionen dem Land wahrscheinlich die Führung in mehreren Schlüsseltechnologien erkaufen werden, darunter Solarpaneele, Elektrofahrzeuge und Halbleiter.
Im Bereich der Halbleiter warnt er beispielsweise, dass China vermutlich auf Basis seiner heutigen Angebote schnelle Fortschritte machen wird, obwohl seine derzeitigen Technologien häufig als unterentwickelt abgetan werden. Dies könnte dem Land langfristig den Weg zur Marktbeherrschung bereiten. Er verweist auf das Mate 60 Pro, das Huawei jüngst vorgestellt hat, und das mit dem 7-Nanometer-Prozessor von SMC ausgestattet ist, als Weckruf für die Branche und deutet darauf hin, dass Chinas Chipherstellung sich viel weiter entwickelt hat, als man allgemein annimmt.
Doch wie Nell betont, gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen Marktbeherrschung und Rentabilität. Investoren müssen sich nicht nur fragen, ob China eine Technologie dominieren wird, sondern auch, ob es dies profitabel tun kann: „China subventioniert viele Industrien, die grundsätzlich unrentabel sind. Daher ist es für die USA und Europa sehr schwierig, in einigen von ihnen mitzuhalten. Aber man muss sich fragen, ob es sich lohnt, ein unrentables Unternehmen weiterzuführen. In vielen Fällen ist dies nicht der Fall. Ein gutes Beispiel wären Elektrofahrzeuge, in denen China als Gewinner hervorgehen könnte. Aber die Frage ist, wie profitabel das für das Land sein wird.“
Deshalb sind im Bereich der Bewertungen Chinas die Bedürfnisse der Anleger nicht unbedingt dieselben wie die der Politiker. Daher muss man sich darüber im Klaren sein, wo die eigenen Prioritäten liegen. Wie Nell erklärt: „Aus einer Aktienperspektive zählt unserer Meinung nach der innere Wert der Aktien, der die Summe der diskontierten Cashflows ist, die das Unternehmen im Laufe seiner Lebensdauer generieren wird. Wir müssen an chinesische Aktien denselben Maßstab anlegen wie an alle anderen Aktien, und diejenigen, bei denen keine direkte Rentabilität erkennbar ist, werden wahrscheinlich nicht investierbar sein.“ Er hält Investoren dazu an, sich nicht zu sehr auf den Trend einzulassen, dem zufolge gewinnt China, indem es in unrentable Bereiche investiert und diese dominiert.
Jia Tan (TJ), Forschungsleiter bei O’Connor China Equity Long/Short, glaubt an klare Anlagemöglichkeiten.
„Diejenigen [Unternehmen], die KI-Anwendungen in Bereichen wie E-Commerce, Online-Werbung/Gaming und molekulare Entwicklungsbiologie entwickeln und darin integrieren, könnten ebenfalls stark profitieren. Außerdem glauben wir, dass im Halbleitersektor Long-Only-Chancen zu finden sind,“ sagt er.
Regenerative Dominanz
Es ist wichtig anzumerken, dass Chinas Dominanz bei Elektrofahrzeugen und Photovoltaik (PV) der chinesischen Gesellschaft und Regierung zugutekommt, selbst wenn sie nie zu guten Renditen für Investoren führt. Wie Eckland betont, „ist die Dominanz in Elektrofahrzeugen und PV ein großer strategischer Vorteil, da sie den Westen dazu zwingt, zwischen 1) einer schnellen Energiewende (unmöglich ohne Chinas Beteiligung) oder 2) jeglicher Art von harter Rivalität mit China (Krieg, wirtschaftliche Entkopplung, starke Sanktionen oder Handelsbarrieren) zu wählen.“
Der Umfang und die aus der Vorherrschaft in PV und irgendwann auch die in Windenergie resultierenden niedrigen Kosten, welche erhebliche indirekte Vorteile für die chinesische Industrie haben. Der Grund dafür ist, dass dies wahrscheinlich zu niedrigeren Produktionskosten für erneuerbaren Strom führen wird, was zu einem strategischen Kostenvorteil für umweltfreundliche Industriegüter mit geringem CO2-Ausstoß führt. Dieser Vorteil bei nachgelagerten Gütern, die in Märkte exportiert werden, die sich um eingebettete Emissionen sorgen (d.h. Europa, möglicherweise gefolgt vom Rest der OECD), könnte der Rentabilität der chinesischen Industrie mehr zugutekommen, als dass sie durch eine übermäßige Kapitalallokation für die Wind- und Solarproduktion beeinträchtigt wird. „Noch wichtiger ist zumindest für die chinesische Führung, dass die Dominanz höherwertiger nachgelagerter umweltfreundlicher Fertigungsverfahren relative gut bezahlte Arbeitsplätze nach China verlagert werden, was der dortigen Jugendarbeitslosigkeit entgegenwirken und dem Land ermöglichen könnte, auf ein höheres Niveau der industriellen Entwicklung aufzusteigen,“ sagt Eckland.
Weiterhin sind Elektrofahrzeuge und PV zwar ziemlich kommerzialisiert und werden daher niemals die Marktpositionen von Netflix oder Amazon erreichen, aber Chinas Dominanz könnte zu Skaleneffekten auf Ökosystemebene führen. Dies würde weitreichende Vorteile für den gesamten Elektrofahrzeug- und PV-Sektor Chinas mit sich bringen, was dazu führen könnte, dass chinesische Unternehmen in diesen Bereichen eine höhere Rentabilität gegenüber ihren globalen Wettbewerbern erzielen.
Mit schwindendem Vertrauen zwischen China und den USA fragen sich jedoch auch viele im Westen, wie China diese Vorherrschaft nutzen könnte, wenn sie erst einmal etabliert ist.
Ein chinesischer Würgegriff auf strategische Technologien würde weithin als Bedrohung angesehen werden und China einen mächtigen Hebel bieten, um Regierungen und Unternehmen unter Druck zu setzen und Preise durch Angebotsbeschränkungen künstlich in die Höhe zu treiben – wenn es sich dazu entschließen sollte. Derartige Befürchtungen haben dazu geführt, dass die USA und die EU ‚CHIPS‘-Gesetze implementiert haben, um die Widerstandsfähigkeit der Halbleiterlieferkette zu fördern,56 und wurden durch Chinas jüngste Exportbeschränkungen für Gallium und Germanium, wichtige Nebenmetalle für die Halbleiterherstellung, weiter verstärkt.7 Schritte dieser Art erinnern den Westen daran, dass viele seiner innovativsten Unternehmen bei der Produktion von Technologien der nächsten Generation noch stark von Materialien abhängig sind, die China besitzt oder verarbeitet.
Chinas Dominanz bei der Energiewende ist ein gutes Beispiel. Im Jahr 2023 investierte China 543 Milliarden US- Dollar in die Energiewende, fast dreimal so viel wie die EU (180 Milliarden) und fast viermal so viel wie die USA (141 Milliarden). Diese Investition hat China zu einer Vorreiterstellung bei Schlüsseltechnologien wie Batterien für Elektrofahrzeuge verholfen.8
Wie Eckland anmerkt,
China produziert 79% der weltweiten Batteriezellen für Elektrofahrzeuge, 70% der Batterienanoden, 85% der Batterienkathoden und 66% der Separatoren und seltenen Erdelemente, welche für Elektrofahrzeugmotore entscheidend sind, von denen China über 60% des weltweiten Angebots produziert und verarbeitet.9
Chinas Dominanz erstreckt sich vorgelagert auf die Schlüsselmetalle, die zur Herstellung von Batterien und Elektrofahrzeugen verwendet werden. In diesem Bereich raffiniert China 68% des Nickels, 40% des Kupfers, 59% des Lithiums und 73% des Kobalts weltweit. Eckland argumentiert, dass „dies anderen Ländern erschweren wird, genügend dieser Metalle zu beschaffen, um Chinas Anteil an der Batterieproduktion zu reduzieren.“10
China führt außerdem in der günstigen Herstellung moderner erneuerbarer Energien. Es ist für 80% der weltweiten PV-Produktionskapazitäten verantwortlich,11 und nicht-chinesische Hersteller benötigen fast ausnahmslos staatliche Subventionen oder Handelsbarrieren, um im Geschäft zu bleiben. China ist außerdem der kostengünstigste Hersteller von Windturbinen und scheint, wie es Eckland ausdrückt, „nun große Fortschritte bei der Senkung der Kosten für die Herstellung von Wasserstoffelektrolyseuren“ zu machen.
Abbildung 1: China dominiert die gesamte nachgelagerte Lieferkette für Elektrofahrzeugbatterien
Geographical distribution of the global EV battery supply chain
Technische Innovation
Chinas Erfolg bei der Förderung von Innovationen verlangt immer mehr Aufmerksamkeit. Dieser Erfolg ist auf diverse Faktoren zurückzuführen, darunter seine außergewöhnlichen Markteigenschaften, sein Wettbewerb und die Rolle des Staates als Förderer und Beschützer der neu entstehenden Technologien.
Wenn sich die besten Voraussetzungen für Innovationen tatsächlich aus einem Zusammenspiel zwischen staatlichen und privaten Institutionen ergeben, kann China mit Optimismus auf seine Ambitionen als Technologievorreiter blicken.
Natürlich gibt es auch ein Gegennarrativ. Im Global Innovation Index, der 2022 von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) veröffentlicht wurde, erreicht China weltweit nicht einmal Platz 10. Die USA sind nach wie vor ein Zentrum der Innovation, geben jährlich über 700 Milliarden US-Dollar für F&E aus und sind Sitz von vier der fünf größten globalen Investoren in diesen Bereich (Amazon, Alphabet, Microsoft und Apple).
Das Silicon Valley ist weiterhin ein einzigartiger Sammelpunkt für Talente, Kapital und Ambitionen, und die USA sind immer noch für einen Großteil der grundlegenden technologischen Durchbrüche weltweit verantwortlich. Dr. Jin warnt:
„China beherrscht die One-to-N- Technologien, insbesondere Internetanwendungen und die Gestaltung von Geschäftsmodellen, zwar auf bemerkenswerte Weise, aber es ist noch nicht dazu bereit, konsequent Zero-to-One, also bahnbrechende Innovationen, zu machen.
Damit das in China passieren kann, bedarf es tiefgreifender Veränderungen in der Zivilgesellschaft, den Märkten und der Rolle des Staates.“
Bis dahin reagieren westliche Länder natürlich proaktiver auf Chinas wachsende Technologiekompetenz. Die Realität ist, dass chinesische und westliche Systeme weiterhin Innovationen hervorbringen und auf dieser Grundlage profitable Unternehmen aufbauen werden.
Auf geopolitischer Ebene werden politische Entscheidungsträger und Unternehmen in den kommenden Jahren zunehmend versuchen, das Risiko eines chinesischen Technologiemonopols zu mindern, was einen Nettorückgang des Technologietransfers und der Innovation auf globaler Ebene mit sich bringt und sich negativ auf die Net-Zero-Ziele auswirken wird. Doch Anleger sollten sich nicht durch die zunehmend hitzigere politische Rhetorik von den Möglichkeiten, die China bietet, ablenken lassen.
Der China-Komplex
Der China-Komplex
Diese Sonderausgabe von Panorama ist China gewidmet und bietet eine umfassendere Sichtweise auf das Land aus der geopolitischen, nachhaltigen, wirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Perspektive.
Über die Autoren
Ellis Eckland
Portfolio Manager Climate Action
Ellis Eckland, leitender Portfolio-Manager der Strategien UBS Climate Action und UBS Future Energy Leaders. Daneben konzentriert er sich als Senior Investment Analyst im Global-Equity-Team von UBS AM auf die Sektoren erneuerbare Energie, Werkstoffe und konventionelle Energie. Ellis Eckland ist 2010 zu UBS AM gestoßen. Zuvor war er Vorsitzender und CIO von Eckland Capital Management. Zu seinen früheren Stationen zählen Frontpoint Partners und Putnam Investments, wo er als Energie- und Werkstoffanalyst tätig war. Der ehemalige Offizier des Nachrichtendienstes der US-Marine wurde mit der Gemeinschaftsdienst-Anerkennungsmedaille (Joint Service Commendation Medal) ausgezeichnet.
Michael Nell
Senior Analyst für die Sektoren Technologie, Kommunikationsdienstleistungen und Medien
Mike Nell ist im Global Intrinsic Value Team als Senior Analyst für die Sektoren Technologie, Kommunikationsdienstleistungen und Medien tätig. Daneben ist er leitender Portfolio-Manager für den Technology Opportunity Fund und die US Opportunity Unconstrained Strategie. Sein Aufgabenbereich umfasst das Fundamentalresearch zu Unternehmen und das sektorbezogene Research. Sein Fokus liegt auf den Sektoren Kabel, Computer-Hardware, Fertigungsdienstleistungen für elektronische Komponenten, Internet, IT-Dienstleistungen, Druck und Bildverarbeitung, Halbleiter, Halbleiter-Investitionsgüter, Software und Telekommunikation.
Jia (TJ) Tan
Head of Research, China Long/Short mit Sitz in Shanghai
Jia Tan ist 2019 zu O'Connor gestoßen und hat über zwölf Jahre Erfahrung in der Anlagebranche und insbesondere bei Investments an chinesischen Märkten.
Haben Sie eine Frage oder ein Anliegen? Wir setzen uns gerne mit Ihnen in Verbindung. Kontaktieren Sie unser UBS Asset Management Team für weitere Informationen.
Porträt unseres Führungsteams
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