Wie sehen Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt aus?
Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt werden erwartet, was passiert jedoch, wenn die Umbrüche von einer temporären Quelle anstatt von einer natürlichen Progression oder einem Wandel in der Gesellschaft stammen? Ein Nobelpreisträger untersucht, wie sich COVID-19 auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat und welche Veränderungen nachhaltig sind.
Es ist kein Geheimnis, dass sich die COVID-19-Pandemie auf nahezu jeden Aspekt unseres täglichen Lebens ausgewirkt hat. Schulen und Arbeitsplätze verlagerten sich vom physischen in den virtuellen Raum. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in den Lebensmittelläden und Apotheken wurden einer gewaltigen Belastung ausgesetzt. Die Reisebranche wurde im Ungewissen gelassen. Allerdings gibt es ein übergreifendes, verbindendes Element bei all diesen verschiedenartigen Beispielen: Menschen, speziell Menschen und ihre Arbeitsplätze.
Natürliche und irreguläre Umbrüche
Natürliche und irreguläre Umbrüche
Als Makroökonom ist der Nobelpreisträger Sir Christopher Pissarides seit langem von den Wechselwirkungen auf dem Arbeitsmarkt fasziniert und war nicht nur vorbereitet, sondern auch bestrebt, diese vollkommen neue Form des Umbruchs zu untersuchen, die COVID-19 mit sich gebracht hat.
„Umbrüche auf den Arbeitsmärkten beziehen sich auf neue Technologien, vor allem auf die Automatisierung, die in Form von Maschinen in der Produktion, künstlicher Intelligenz im Büro und Computerisierung stattfinden kann“, erklärt Pissarides. „Digitale Technologien verändern die Arbeitsmärkte und die Arbeitsweisen, weil dafür ganz andere Fähigkeiten wichtig sind.“
Diese Art von Umbruch ist nur allzu natürlich. Im Zuge technologischer Fortschritte entwickeln sich neue Branchen, in denen Arbeitsplätze entstehen, wohingegen andere Arbeitsplätze in anderen Branchen weniger nützlich oder sogar hinfällig werden. Genauso war es während der ersten industriellen Revolution und deswegen bezeichnen Ökonomen und andere Marktexperten diese Ära der Automatisierung auch als die vierte industrielle Revolution. Die Pandemie brachte jedoch eine vollkommen neue, nicht ganz so normale Form von Umbruch mit sich.
„COVID hat auf unseren Arbeitsmärkten einen Preis eingeführt, um sich in der Nähe von anderen Menschen aufzuhalten“, sagt Pissarides. „Der Preis hierfür ist das Gesundheitsrisiko, aber wenn man es als Ökonom auf abstraktere Weise betrachtet, dann könnte es irgendein Preis sein. Wenn ich einem Studenten erklären müsste, wie man COVID modelliert, würde ich sagen, dass es am einfachsten ist, sich vorzustellen, dass man immer, wenn man mit einer Person in Kontakt kommt, einen 10-Euro-Schein hinlegt, das ist der Preis. Das ist das Risiko, sich zu infizieren.“
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Die Rolle von Technologien
Die Rolle von Technologien
Das Modell, das Pissarides vorstellt, impliziert, dass man versucht, Kosten zu reduzieren, und dafür greift man auf Technologien zurück oder sucht nach neuen Wegen, um bisherige Verhaltensweisen so umzugestalten, dass die nun kostenintensive Aktivität der Nähe zu anderen Menschen reduziert wird.
„Die Zerrüttung der Arbeitsmärkte wird stärker, weil sie in die gleiche Richtung drängt, wie die Technologie zuvor und die Automatisierung dadurch beschleunigt wird“, fährt er fort. „Man hört von großen Unternehmen, dass sie geplant hatten, diesen oder jenen Prozess in den nächsten 10 Jahren zu automatisieren, und dass sie dies nun in den nächsten fünf Jahren vorhaben. Oder es war geplant, die neue Technologie in einem Jahr einzuführen, aber dank COVID ist sie jetzt schon auf dem Markt. Und genau das bedeutet es, wenn von einer Beschleunigung des Umbruchs oder einem wachsenden Umbruch die Rede ist.“
Im Zuge des Wandels, der fortschreitenden Automatisierung und der zunehmenden Einführung neuer Technologien müssen viele Unternehmen Umschulungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter in Betracht ziehen. Der Begriff „Umschulung“ kommt bei Pissarides im Zusammenhang mit der Diskussion über die Zukunft des Arbeitsmarktes immer wieder vor. Seiner Meinung nach sollte die Verantwortung für solche Umschulungen jedoch nicht nur bei den Beschäftigten liegen.
Historische Beispiele
Historische Beispiele
„Wirtschaftliche Entwicklungen bringen es mit sich, dass Beschäftigte immer mal wieder auf neue Tätigkeitsfelder umsteigen müssen. Umschulungen sind an sich nichts Neues“, sagt er. „Die größten Verschiebungen fanden zuletzt in China statt. 1980 waren etwa 65 bis 70 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig. Heutzutage sind es vielleicht noch 10 Prozent. Die Hälfte aller Beschäftigten musste umgeschult werden, da sie zwar Kenntnisse in der Landbewirtschaftung hatten, aber weder im städtischen Umfeld noch in Fabriken oder im Dienstleistungssektor arbeiten konnten. Ich glaube, der Unterschied dieses Mal ist, dass die neuen Fähigkeiten, die man erlernen muss, sehr weit von den vorhandenen Kenntnissen der Leute entfernt sind.“
Als Beispiel nennt er das Produktionsgewerbe und die Zeit als die Elektrizität ins Spiel kam. Bevor es Elektrizität gab, arbeiteten Fabriken mit Dampfkraft, Handarbeit oder einer Kombination aus beiden. Mit der Einführung der Elektrizität wurde die Dampfkraft ersetzt, was die Prozesse schneller und sauberer machte. Die Beschäftigten mussten lernen, mit Elektrizität zu arbeiten, mit den Kabeln umzugehen, ähnlich wie sie gelernt hatten, Dampfmaschinen zu betreiben.
„Nun heißt es aber, es gäbe diese neue digitale Technologie namens KI, und man müsse sie auf eine gewisse Weise programmieren. Und es ist vollkommen anders als das, was man vorher gemacht hat, und daher stellt dies eine weitaus größere Herausforderung dar“, sagt Pissarides.
Temporäre Veränderungen
Temporäre Veränderungen
Die historischen Beispiele für Branchen, in denen Automatisierungen eingeführt wurden, unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von dem, was wir heute erleben. Während es in der Vergangenheit darum ging, sich weiterzuentwickeln und an die sich ändernden Zeiten anzupassen, geht es heutzutage darum, was passiert, wenn die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt nur temporär sind, hervorgerufen durch eine Pandemie oder eine andere Art von Krise oder Zusammenbruch, und danach eventuell eine Phase der Wiederherstellung folgt. Sind die durch COVID-19 bewirkten Veränderungen nachhaltig? Laut Pissarides kann man diese Frage noch nicht gänzlich beantworten.
„Während der Pandemie hat sich die Funktion der Arbeitsmärkte grundlegend geändert, da die meisten Tätigkeiten gewisse Interaktionen mit anderen Menschen erforderten und die Kosten dieser Interaktionen für die Gesellschaft als Ganzes enorm waren, weshalb zahlreiche Maßnahmen ergriffen wurden, um diese Interaktionen zu minimieren“, sagt er. „Denken wir nur an die Lebensmittelversorgung. Restaurants wurden geschlossen, Supermärkte waren so gut wie geschlossen, die Straßen voll mit Lieferfahrzeugen und Motorrädern, die Lebensmittel liefern und es wird viel mehr zu Hause gekocht.“
„Interessant wird es, zu sehen, was nach der Pandemie passiert, denn mittendrin ist es ziemlich offensichtlich, wo die Veränderungen stattfinden werden. Ich denke, dass es danach Veränderungen geben wird, die aus zwei Gründen langfristig anhalten werden. Zum einen sind in den letzten zwei Jahren neue Technologien entwickelt worden, und wenn die neue Technologie einmal da ist, wirft man sie nicht einfach weg. Das beste Beispiel dafür sind Geschäftsbesprechungen oder Seminare, die früher alle vor Ort abgehalten wurden. Man würde per Flugzeug oder Zug reisen, um sich mit jemandem zu treffen und miteinander sprechen. Nun wird dies über das Internet erledigt.“
Die langfristigen Auswirkungen
Die langfristigen Auswirkungen
Der zweite Grund, aus dem Pissarides glaubt, dass es langfristige Veränderungen geben wird, ist vielleicht etwas weniger deutlich als die Übernahme neuer Technologien, aber nichtsdestotrotz bedeutend. Viele Menschen möchten nicht die erste Person sein, die etwas Neues ausprobiert bzw. sich selbst als Versuchsobjekt sehen, meint er. Der Mensch ist generell ein Gewohnheitstier. Wenn man jedoch durch eine Pandemie gezwungen wird, seine Verhaltensweisen zu ändern, können sich neue und potenziell bessere Gewohnheiten entfalten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit im Homeoffice.
„Angenommen man hat einen Bürojob, bei dem man einen Großteil seiner Arbeit am Schreibtisch sitzend erledigt, auf den Bildschirm schaut und seine Arbeit online verrichtet. Wenn man früher zu seinem Chef gegangen wäre und darum gebeten hätte, einen Tag in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten, hätte der Chef sicherlich das Gefühl gehabt, dass die Arbeit nicht ernst genommen wird“, sagt Pissarides. „Jetzt sind diese Leute diejenigen, die sich während der COVID-Zeit in der besten Position befanden, weil sie zu Hause bleiben und ihre Arbeit machen konnten. Man geht davon aus, dass etwa 20 % der Arbeit zu Hause bleibt bzw. auf gewisse Weise aus der Ferne erledigt wird, da man sich daran gewöhnt hat, von zu Hause aus zu arbeiten.“
Nach Ansicht von Pissarides stellt die Automatisierung im Großen und Ganzen eine positive Sache dar, jedoch muss sie mit gesellschaftlichen Veränderungen einhergehen, um den Übergang zu optimieren, und sie muss zudem durch die Politik unterstützt werden.
„Der Vorteil dabei ist, dass man die langweiligen Arbeiten von Maschinen erledigen lassen kann und die Menschen dann andere, interessantere Dinge tun können, unter anderem auch mehr Urlaub nehmen. Ich bin ein großer Fan von Urlaub“, sagt er. „Der Nachteil ist, dass es sehr schwierig ist, eine gerechtere Verteilung der Nutzen aus der Automatisierung zu erreichen. Die Automatisierung kommt tendenziell den Wohlhabenderen in der Gesellschaft zugute, weil es die Kapitalbesitzer sind, deren Arbeitsplätze durch Maschinen ergänzt werden. Die bisherigen Ungleichheiten werden also noch verstärkt, und das ist der Grund, warum die Menschen die Automatisierung fürchten. Dennoch glaube ich, dass die Vorteile der Automatisierung so groß sind, dass Regierungen einige dieser Vorzüge nutzen könnten, um den Übergang zu erleichtern und die Qualität von Arbeitsplätzen zu verbessern.“
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