Paul A. Samuelson

Nobelpreis 1970 | Ist die Ökonomie eine Wissenschaft?

Paul Samuelson nahm sein Studium 1932 auf, als die Weltwirtschaftskrise gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte und «Wirtschaft das Aufregendste der Welt» war. Als er sich später bereits als Wissenschaftler einen Namen gemacht hatte, baute er die Fakultät der Wirtschaftswissenschaften am MIT mit auf, eine der besten der Welt. Seine akademische Laufbahn war erstaunlich: Er war nicht nur einer der letzten wirklichen Generalisten seines Faches, sondern beriet fast jede wichtige Institution in den USA und war einer der ersten amerikanischen Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften.

Besonders bekannt ist Samuelsons Statement, «Es ist mir egal, wer die Gesetze einer Nation schreibt – solange ich die Wirtschaftslehrbücher schreiben kann». Er leistete in jeglicher Hinsicht hervorragende Arbeit. Die erste Ausgabe seines Lehrbuchs «Economics» erschien 1948 und war mit Millionen verkaufter Exemplare und Übersetzungen in mehr als 40 Sprachen jahrzehntelang das meistverkaufte Lehrbuch der Welt (im deutschsprachigen Raum wurde es unter dem Titel «Volkswirtschaftslehre» verlegt). 2009 wurde die neunzehnte Auflage herausgegeben.

Paul A. Samuelson

Paul A. Samuelson

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, 1970

Auf einen Blick

Geboren: 1915, Gary, Indiana, USA

Gestorben: 2009, Belmont, Massachusetts, USA

Fachgebiet: Makroökonomie

Ausgezeichnetes Werk: Entwicklung der statischen und dynamischen Wirtschaftstheorie; massgeblicher Beitrag zur Anhebung des Analyseniveaus in den Wirtschaftswissenschaften

Bekanntestes Zitat: Es ist mir egal, wer die Gesetze einer Nation schreibt – solange ich die Wirtschaftslehrbücher schreiben kann

Geheimnis eines langen Lebens: Hörte in den 1970er Jahren mit dem Rauchen auf (als alle anderen Professoren noch Kettenraucher waren) und spielte noch mit weit über 80 Tennis

Lebenslanger Gegner (und Freund): Milton Friedman, Anti-Keynesianer und Verteidiger des Kapitalismus des freien Marktes

Skandal: Wurde auf der Feindesliste von Präsident Richard Nixon geführt (was ihn aber nicht störte, da es sein Ansehen bei seinen akademischen Freunden und seinen Kindern erhöhte)

Benötigen die Märkte staatliche Kontrollen?

«Ich glaube an meine eigene Art der Ökonomie», erklärte Samuelson und führte weiter aus, dass die Theorien, die von seinen Lehrern entwickelt worden waren und seiner Arbeit vorausgingen, nicht perfekt waren. «Während der Weltwirtschaftskrise wurde gesagt, dass die Regierungen sich nicht einmischen sollten, weil sie die Situation nur weiter verschlimmern würden.» Samuelson war da anderer Ansicht. Er sah sich nicht nur als Forscher, sondern auch als Lehrer und wollte seine Studenten mit einem anderen Ansatz bekanntmachen. Dazu gehörten auch die Ideen des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes, der dafür plädierte, dass die Märkte eine aktive staatliche Beteiligung und Kontrolle benötigen.

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Wie er dazu beitrug, die Ökonomie zu einer Wissenschaft zu machen

Ein geborener Wirtschaftswissenschaftler

Samuelson erinnerte sich daran, wie er sich am Morgen des 2. Januar 1932 wie neugeboren fühlte, nachdem er zum ersten Mal einen wirtschaftswissenschaftlichen Hörsaal an der Universität von Chicago betreten hatte. «Ich wusste gar nichts über die Wirtschaftswissenschaften», sagte er. «Dann war es aber Liebe auf den ersten Blick» Zufälligerweise war er zur richtigen Zeit, nämlich zu Beginn der keynesianischen Revolution, am richtigen Ort. Dies war, so Samuelson, die dramatischste und kontroverseste Wendung in der Geschichte der politischen Ökonomie des 20. Jahrhunderts.

«Genau so muss sich ein Physiker geführt haben, als die Quantenmechanik entwickelt wurde, zu Zeiten von Bohr und Heisenberg und Schrödinger», erläuterte er. «Wenn man zu der Zeit dabei war, hatte man wirklich Glück. Ich hatte mein ganzes Leben lang solches Glück.»

In Chicago hatte er die beste Ausbildung in der präkeynesianischen Ökonomie erhalten. An der Harvard University studierte er dann unter Schumpeter und Leontief. Er nahm alles, was er konnte, in sich auf, und begann dann, noch bevor er 30 Jahre alt war, das damalige wirtschaftliche Denken auf seine eigene Weise zu hinterfragen.

Denken in grossen Dimensionen

Seine Doktorarbeit trug den Titel «Die Grundlagen der ökonomischen Analyse», ein früher Hinweis darauf, dass Samuelson in grossen Dimensionen dachte. In den Folgejahren bestand er darauf, dass die Mathematik für das Verständnis einer Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sei, und nutzte seine mathematischen Fähigkeiten, um komplexe Wirtschaftstheorien aufzustellen. Das Nobelkomitee wies später darauf hin, dass Samuelson mehr als jeder andere Ökonom dazu beigetragen hat, «das allgemeine analytische und methodische Niveau der Wirtschaftswissenschaften anzuheben», da er im Grunde genommen wesentliche Teile der Volkswirtschaftslehre neu geschrieben hat. Kurz gesagt, verhalf Paul Samuelson der Ökonomie dazu, eine Wissenschaft zu werden.

Der letzte Generalist

«Ich habe versucht, die moderne Wirtschaftstheorie so zu formulieren, dass sie auch in der Praxis überprüfbar ist», erklärte Samuelson. «Ich suchte nach Theoremen und Hypothesen, die durch Fakten widerlegt werden konnten oder die sich als nicht vereinbar mit den Fakten erwiesen. So erhält man eine Reihe von ziemlich aussagekräftigen Hypothesen darüber, wie man politische Massnahmen ausarbeiten kann, mit denen man den aus zukünftigen Situationen entstehenden Problemen begegnen kann.»

Sechs Nobelpreise

Samuelson war der letzte Generalist in einem Zeitalter zunehmender Spezialisierung. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigte er sich unter anderem mit dem internationalen Handel, der Ökonometrie, der Wahrscheinlichkeitstheorie, der Finanzökonomie und der Arbeitsökonomie. Wenn man sich bei ihm auf ein Gebiet konzentrieren will, wäre das wohl die Forschung und Lehre. «Wonach ich suchte, waren übergreifende wissenschaftliche Methoden, die nicht nur in einem Bereich, sondern in vielen Bereichen anwendbar sind», so Samuelson. «Mir war wichtig, dass ich keine rein abstrakte Theorie entwickle, die die Fakten komplett unberücksichtigt lässt.» Sein enger Kollege Robert Merton, der 1997 den Nobelpreis erhielt sagt dazu, «Paul hätte sechs Nobelpreise verdient. Er verfasste in jedem einzelnen Bereich ein grundlegendes Werk der Ökonomie.»

Berater im Verborgenen

Samuelson hat im Laufe seiner sehr erfolgreichen Karriere vielen Menschen die Ökonomie nähergebracht, und zwar insbesondere auch John F. Kennedy. «Meine wichtigste Aufgabe war die Tätigkeit als sein wirtschaftlicher Berater», erzählte er. «Ich denke gerne daran zurück, dass wir das Land vor seiner Ermordung wirtschaftlich wieder in Gang gebracht haben. Wir haben erfolgreich eine Rezession beendet.»

Samuelson entschied sich trotz dieser Aufgabe gegen einen Umzug nach Washington, sondern blieb von 1940 bis zu seinem Lebensende Professor am MIT. Er erklärte einmal, er ziehe es vor, ein «Berater im Verborgenen» zu sein, um so seine Unabhängigkeit zu wahren. «Für mich war es immer ungemein wichtig, meine Wurzeln in der akademischen Welt zu behalten», sagte er. «Ich bin in den letzten 45 Jahren noch nicht einmal 50 Meter weit umgezogen.»

Warum Ökonomen nicht immer Recht haben können

Samuelson betonte, dass man über mathematische Modellierungen zu klaren Fragen kommt, die wiederum eine exakte Analyse ermöglichen. Dabei tat er allerdings nicht so, als ob die Mathematik alle Antworten liefern könne. Schliesslich wusste er, dass die Wissenschaft genauso kompliziert ist, wie die reale Welt der Wirtschaft. «In den Wirtschaftswissenschaften gibt es nur selten eine eindeutige Antwort», sagte er. «Ich kann mit Stolz sagen, dass ich zu der Spezies der Ökonomen gehöre, die vielseitig sind und Kompromisse eingehen.»

«Wir sollten uns nicht zu sicher sein, dass es den einen idealen Weg gibt, nämlich unseren Weg, und dass jeder andere Weg bekämpft werden muss», führte er an. «Meinen Erfahrungen nach liegen Verachtung und Glück irgendwo da, sowohl auf der persönlichen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene. In einer dynamischen Welt hat keiner von uns das letzte Wort.»

Ökonomie und Politik gehören zusammen

«Um ein guter Ökonom zu sein, muss man auch ein guter politischer Ökonom sein», sagte Samuelson. «Die Diagramme zu Angebot und Nachfrage zu kennen und mit der Mathematik der ökonometrischen Regression vertraut zu sein, reicht allein nicht aus. Man muss auch soziale Spannungen und Konflikte verstehen können.» Samuelson war sich zwar dessen bewusst, dass die Ökonomie das Wohlergehen der Menschheit beeinflussen kann, aber er glaubte nicht, dass die Wissenschaft in der Lage wäre, zu bestimmen, was richtig oder falsch sei.

«Ob eine Gesellschaft eine bessere Gesellschaft ist, muss ausserhalb des Raumes der Wissenschaft beurteilt werden», sagte er. «Jede Gesellschaft muss das für sich beurteilen. Ein Wissenschaftler wie ich kann nur vermitteln, was es insgesamt an realem Wachstum kostet, wenn man darauf besteht, die einzelnen Kuchenstücke gerechter zu verteilen.»

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Fühle mit warmem Herzen, aber behalte dabei deinen wissenschaftlichen Verstand

Samuelson träumte davon, bessere Instrumente für die moderne Ökonomie des Mainstreams zu entwickeln und plädierte für eine Art der Ökonomie, die zwar warmherzig ist, dabei aber möglichst wenig Einbussen an Effizienz und Fortschritt erfordert. «Je älter ich werde, desto realistischer werde ich hinsichtlich dessen, was wirklich umsetzbar ist», erklärte er. «Die meisten Wirtschaftsaktivitäten funktionieren wahrscheinlich am besten, wenn sie dem Markt überlassen werden. Das ist die wichtigste Lektion der postkeynesianischen Ära. Wir müssen keine langwierigen kapitalistischen Einbrüche durchlaufen. Wir können in die Makroökonomie eingreifen und den Markt seine Stärke zeigen lassen. Wenn man dem Markt seine Macht überlässt, wird er zeigen, dass diese Macht sehr effektiv ist.»

«Die Aufgabe der postkeynesianischen Stabilisierungspolitik besteht darin, dass die Zentralbank sich gegen den Wind lehnen sollte», fuhr er fort. Wenn sich die Konjunktur überhitzt, sollte die Zentralbank den Geldbestand reduzieren und die Zinssätze erhöhen, um den Inflationsdruck zu senken. Wird zu wenig ausgegeben, sollte die Zentralbank etwas gegen die Deflation tun.»

Samuelson argumentierte, dass ein warmes Herz nicht zu Lasten eines kühlen Kopfes gehen sollte. «Wahrscheinlich haben Robin Hood und seine tollkühnen Gesellen auch einen Grossteil von dem, was sie den Reichen abgenommen haben, behalten, und nicht alles in die Hände der Armen gegeben», scherzte er.

Bescheiden bleiben

Als Paul Samuelson 2009 im Alter von 94 Jahren starb, beschrieben ihn viele als den wichtigsten Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Selbst an der Spitze des entscheidenden ökonomischen Wandels beschrieb er seine Arbeit einst als pure Freude. Dabei ging es ihm nicht um den Applaus. «Es stimmt schon, dass ich insgesamt ein gewisses Mass an wissenschaftlicher Arbeit geleistet habe, aber ich erwarte nicht, dass mir jemand dafür auf die Schulter klopft. Mit hat es einfach Spass gemacht,» sagte er.

Die Unsterblichkeit, auf die ich hoffen kann ist, dass man sich an die Arbeit erinnert, die ich geleistet habe.

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Was bedeuten die Erkenntnisse von Samuelson also für uns?

«Die Verehrung der mathematischen Ökonomie, die das Vermächtnis von Samuelson ist, hat den Finanzmärkten wirtschaftlich geschadet. Die mathematischen Modellierungen von Samuelson zeigen zwar die Brillanz seines Werkes, sind aber gleichzeitig seine Schwäche.»

Paul Donovan

Global Chief Economist
UBS Wealth Management

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