KI und die Zukunft von Robotik und Automatisierung
KI wird voraussichtlich unser Leben stark verändern. Wir denken, die erzielten Fortschritte werden unsere Produktivität erheblich verbessern und grosse Marktchancen für Robotik- und Automatisierung schaffen.
Künstliche Intelligenz (KI) hat seit ihren Anfängen in den 1950er Jahren grosse Fortschritte gemacht. Von regelbasierten Systemen, die für Analysen und Vorhersagen eingesetzt wurden, bis hin zu den jüngsten Fortschritten im Bereich des maschinellen Lernens und der tiefen neuronalen Netzwerke, die ihren Einsatz für kreativere, generative Aufgaben ermöglichen, ist KI heute weitaus leistungsfähiger und bietet vielen Branchen interessante Möglichkeiten.
KI wird in den kommenden Jahren voraussichtlich unser Leben und wahrscheinlich die ganze Welt verändern, allerdings sind sich die Expertinnen und Experten uneins, wie genau dies geschehen wird. In dieser Ausgabe von Thematic Insights untersuchen wir, wie KI die Zukunft der Robotik und Automatisierung gestalten wird, welche bedeutenden Wachstumschancen und Herausforderungen sie mit sich bringt und wie sie sich langfristig als wichtiger Treiber für das Thema erweisen kann.
Wichtigste Erkenntnisse:
Wichtigste Erkenntnisse:
- Auch wenn wir noch Jahrzehnte von einer allgemeinen künstlichen Intelligenz (General Artificial Intelligence, GAI) entfernt sind: Die bereits erzielten Fortschritte im Bereich schwacher KI-Lösungen (Narrow AI) ermöglichen Robotik- und Automatisierungssysteme mit einem höheren Grad an Autonomie.
- Mit zunehmender Autonomie werden Roboter immer nützlicher und benutzerfreundlicher, und ihr Zielmarkt wächst beträchtlich.
- Im Zuge der Weiterentwicklung der KI werden die Marktchancen für die Robotik- und Automatisierungsbranche weiter zunehmen.
«Mute and brute» Roboter
«Mute and brute» Roboter
Fabrikroboter sind Hochleistungswerkzeuge, die mit hoher Präzision und Geschwindigkeit arbeiten und oft mehr als zehn Jahre lang mit sehr geringer Ausfallzeit rund um die Uhr im Einsatz sind. Dies macht sie für die Massenfertigung äusserst nützlich, wo sie so programmiert werden können, dass sie unermüdlich die gleiche Aufgabe für ein riesiges Warenvolumen verrichten. Für Menschen wäre diese Art von Arbeit langweilig und repetitiv und oft körperlich anstrengend.
Solche Roboter sind am häufigsten in der Automobil- und Flachbildschirmproduktion sowie in der Lebensmittel- und Chemieindustrie anzutreffen; stärker spezialisierte Roboter werden in der Halbleiterproduktion eingesetzt. In vielen anderen Branchen gibt es jedoch überraschend wenige Roboter. Die durchschnittliche Roboter- dichte im verarbeitenden Gewerbe liegt bei nur 14,1 Robotern pro 1’000 Werksmitarbeitenden.1 Der Grund dafür ist, dass die meisten Roboter und Automatisierungssysteme einem vorprogrammierten Satz von Anweisungen folgen, und es Wochen oder sogar Monate dauern kann, den Roboter für eine andere Aufgabe umzuprogrammieren.
Für viele Hersteller ist diese mangelnde Flexibilität nicht praktikabel. Sie müssen in der Lage sein, ihre Produktion schnell von einem Produkt auf ein anderes umzustellen, und haben weder die Zeit noch das technische Know-how, um eine Reihe von Robotern umzuprogrammieren. Fabrikroboter eignen sich nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Branchen mit hohem Produktionsvolumen und geringer Variabilität (Automobil-, Lebensmittel-, Chemie-, Halbleiter- industrie usw.).
Andrea Thomaz, Associate-Professorin an der University of Texas und Mitbegründerin und CEO von Diligent Robotics, beschreibt vorprogrammier- te Roboter als «mute and brute»2. Diese führen Aufgaben mit grosser Effizienz und Präzision wiederholt aus, sind sich aber ihrer Umgebung nicht bewusst. Das macht sie potenziell gefährlich für Menschen in ihrer Nähe, weshalb Roboter in der Regel in physischen oder virtuellen Sicherheitskäfigen untergebracht werden, um Unfälle zu vermeiden. In einem Sicherheitskäfig ist ihr Nutzen jedoch geringer, da sie in der Lage sein müssen, die gesamte Aufgabe ohne fremde Hilfe auszuführen. Das bedeutet, dass Menschen für die meisten Aufgaben in den zahlreichen Fabriken der Welt weitaus anpassungsfähiger und nützlicher bleiben als ihre mechanisierten Roboterkollegen.
Eine Evolution in der Robotik
Eine Evolution in der Robotik
Das ändert sich nun. In den letzten 20 Jahren ist die Leistung von Computerprozessoren exponentiell gestiegen, und gleichzeitig haben Skaleneffekte und das Moore’sche Gesetz die Kosten gesenkt. Auch die Plattformtechnologien haben sich weiterentwickelt. Die Internetgeschwindigkeit und -abdeckung (sowohl mobil als auch stationär) nehmen weiter zu, und Cloud-Dienstleister wie AWS, Azure, Google und Alibaba bieten Datenspeicherung und Rechendienste nach Bedarf an.
Obwohl die Ursprünge der KI mehr als 70 Jahre zurück liegen, ist die KI dank der jüngsten Verbesserungen bei der Rechenleistung, der Verfügbarkeit von Plattformtechnologien und der enormen Verbreitung von Daten heute leistungs- fähiger als je zuvor.
KI als Gehirn des Roboters
KI als Gehirn des Roboters
In der Robotik und Automatisierung kann man sich KI als das Gehirn des Systems vorstellen. Vor der Einführung von KI waren Roboter Automaten, die einen vorgegebenen Satz codierter Anweisungen ausführten. Mit der KI-Technologie werden Robotersysteme zunehmend autonom – sie können auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren und daraus lernen. Autonomere Roboter können auch einfacher eingerichtet und benutzt werden und sie sind sicherer. Jeder dieser Vorteile erweitert die Einsatzmöglichkeiten der Robotik erheblich und vergrössert ihr Zielmarktpotenzial.
1. Dynamische Autonomie:
In Kombination mit Sensoren und maschineller Bildverarbeitung kann KI-Robotern die Fähigkeit verleihen, schnell zu lernen und sich an neue Situationen anzupassen. Mit anderen Worten: Sie können Entscheidungen auf der Grundlage ihrer Umgebung treffen und ihr Verhalten entsprechend anpassen.
Beispielsweise kann ein Roboter, der in einem Logistikzentrum Artikel sortiert, lernen, wie er ein unbekanntes Objekt am besten aufnimmt. Ein autonomes Fahrzeug kann lernen, Hindernisse auf seinem Weg unter verschiedenen Fahrbedingungen korrekt zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, und kann diese Informationen mit allen anderen Fahrzeugen auf der Strasse teilen.
Eine grössere Autonomie kann es Robotern ermöglichen, selbstständig an Orten zu arbeiten, an denen sich keine Menschen aufhalten, oder in Umgebungen, die für Menschen gefährlich sein können. ANYmal zum Beispiel, der vierbeinige autonome Roboter für industrielle Inspektionsaufgaben von ANYbotics, einem Spin-off der ETH Zürich, wird kommerziell in Kraftwerken und Chemieanlagen eingesetzt3. Er führt Inspektionen durch, sammelt Daten von Systemen in den Anlagen4 und kann auch massgeschneiderte Tests wie Thermografie durchführen, um sicherzustellen, dass kritische Teile nicht überhitzen.
2. Schnellere Einrichtung:
Herkömmliche Robotersysteme erfordern eine umfangreiche Programmierung, die zeitaufwändig und teuer sein kann. Mit KI können Roboter anhand von Daten trainiert und eingerichtet werden. Simulationssoftware übernimmt dann das Debugging. Eine Methode ist die Programmierung durch Vorführung (Programming by Demonstration, PbD), bei der dem Roboter die von einem Menschen ausgeführte Aufgabe gezeigt wird und er diese dann nachahmt.
Die meisten kollaborativen Roboter, sogenannte Cobots, können mit PbD konfiguriert werden, wodurch sie sich für kleine Batch-Aufgaben eignen, bei denen häufige Einstellungsänderungen erforderlich sind. In einigen Systemen wird KI eingesetzt, um die Steuerung des Systems per Sprachbefehl zu ermöglichen, was die Einrichtung und den Betrieb weiter vereinfacht.
3. Sicherer und sauberer:
Mit Sensor-Arrays ausgestattete Roboter können mithilfe von KI-Technologie Objekte in ihrer Umgebung erkennen und angemessen reagieren, indem sie ihre Bewegung verlangsamen oder unterbrechen. Sie können auch so programmiert werden, dass sie sich im Falle einer Fehlfunktion oder eines Notfalls abschalten. Diese Fortschritte können das Unfallrisiko am Arbeitsplatz verringern. Natürlich können Roboter, mit denen Menschen sicher arbeiten können, ein breiteres Spektrum an Aufgaben ausführen; und da der Sicherheitskäfig möglicherweise nicht mehr erforderlich ist, können Menschen bei Bedarf eingreifen, um den Roboter zu unterstützen.
KI kann auch zu höherer Präzision und Effizienz und damit zu einem geringeren Energieverbrauch (siehe Beispiel unten: Rolls-Royce), weniger Materialabfällen und Produktionsfehlern sowie zu nachhaltigeren Herstellungsverfahren führen.
4. Big Data in Echtzeit:
Bei Robotik denken wir oft an physische Aufgaben wie die Handhabung von Objekten in einer Fertigungsstrasse, das Sortieren von Paketen in einem Logistikzentrum oder den autonomen Warentransport. Im rein digitalen Bereich, wo das System nicht durch die physischen Eigenschaften des Robotersystems eingeschränkt ist, ist KI jedoch oft noch effektiver.
Eine besondere Stärke der KI ist die Mustererkennung – die Fähigkeit, grosse Datenmengen zu erfassen und Beziehungen und Anomalien sehr schnell und genau zu identifizieren. Die US-amerikanische Post nutzt inzwischen maschinelles Sehen und ein Edge-KI-System, um die über 100 Millionen Briefe und Pakete, die täglich eingehen, zu identifizieren und zu verfolgen, wobei jeder Server des Systems mehr als 20 Terabyte Bilddaten pro Tag verarbeitet.4 Zwei weitere Beispiele für den Einsatz von KI bei der Analyse von Big Data werden im Folgenden beschrieben:
AlphaFold ist ein KI-Programm, das von DeepMind entwickelt wurde, einem britischen Start-up-Unternehmen, das 2014 von Google übernommen wurde und auch AlphaGo entwickelt hat. Das Programm wurde entwickelt, um eine der grundlegenden Herausforderungen in der Biologie zu bewältigen: die Vorhersage der 3D-Struktur von Proteinen. Das Team trainierte die Software mit den 170’000 in öffentlichen Repositorys verfügbaren Proteinen und veröffentlichte 2021 eine kostenlose Datenbank mit 200 Millionen Proteinen, um die wissenschaftliche Forschung zu beschleunigen und die Anzahl bekannter Proteinstrukturen um ein Tausendfaches zu erhöhen.
Der Computerbiologe und Mitbegründer von Critical Assessment of Structure Prediction (CASP), John Moult, berichtete, dass er mit AlphaFold in einer halben Stunde die Struktur eines Proteins bestimmen konnte, an dem er sich zuvor zehn Jahre lang vergebens versucht hatte.5
Rolls Royce und andere Hersteller kommerzieller Flugzeugtriebwerke überwachen den Zustand ihrer Triebwerke während des Fluges von Operationszentren am Boden aus. Das Engine Health Management System von Rolls-Royce überwacht rund 8’000 Flüge pro Tag, indem es Tausende von Parametern in Echtzeit misst, die von in den Triebwerken eingebauten Sensoren geliefert werden, und sie mit der Leistungshistorie des Triebwerks, mit anderen Triebwerken in der Flotte und im Kontext der Betriebsumgebung vergleicht, um Anomalien und Unregelmässigkeiten zu erkennen. Diese Informationen werden verwendet, um den Treibstoffverbrauch zu verbessern, Triebwerksverschleiss zu verringern, Wartungsbedarf vorherzusagen und den Pilotinnen und Piloten wichtige Flugwarnungen zu geben.
Von der schwachen bis zur allgemeinen KI in Robotik und Automatisierung
Von der schwachen bis zur allgemeinen KI in Robotik und Automatisierung
Bereits anhand der wenigen Beispiele oben wird deutlich, wie aktuelle KI-Technologien der Robotik- und Automatisierungsindustrie in einer Vielzahl von Bereichen erhebliche Verbesserungen und Wachstumschancen bieten. Dies sind jedoch alles Beispiele für die schwache KI, die sogenannte Narrow AI. Hierbei handelt es sich um KI, die eine bestimmte Aufgabe erfüllen soll, wie z. B. zu lernen, wie man etwas aufnimmt, wie man Hindernisse umgeht oder wie man einen Menschen imitiert. Im Gegensatz dazu wäre die allgemeine KI viel leistungsfähiger, aber auch viel schwieriger zu entwickeln.
John McCarthy, der Vater der künstlichen Intelligenz, theoretisierte, dass, wenn alles auf der Welt so beschrieben werden könnte, dass ein Computer es verstehe, dass dann jede Aufgabe automatisiert werden könnte, sofern die physischen Fähigkeiten des Systems ausreichten.6 In der Praxis ist dies jedoch extrem schwierig, da dem Algorithmus erklärt werden müsste, wie die Welt in Bezug auf Physik, gesellschaftliche Normen usw. funktioniert. Stuart Russell, Professor für Computerwissenschaften an der University of California in Berkeley, erklärt:7 «Wenn Sie einen Menschen bitten, Ihnen eine Tasse Kaffee zu bringen, heisst das nicht, dass dies die Mission seines Lebens sein sollte und nichts anderes im Universum zählt. [...] Natürlich müssen alle anderen Dinge, die uns beiden wichtig sind, in sein Verhalten einfliessen. [Und] die Algorithmen verlangen von uns, dass wir alles im Ziel angeben.»
Professor Russell merkte auch an, dass sich die Schätzungen für das Erreichen der allgemeinen KI um das Jahr 2045 einpendeln, er ist jedoch der Ansicht, dass dies eher gegen Ende des Jahrhunderts der Fall sein wird. McCarthy kam zu dem Schluss8, dass «KI auf menschlichem Niveau [allgemeine KI] 1,7 Einsteins, 2 Maxwells und 5 Faradays erfordern könnte.»
KI auf menschlichem Niveau wird erreicht werden, aber es sind mit grosser Wahrscheinlichkeit neue Ideen erforderlich, sodass es nicht möglich ist, ein Datum zuverlässig vorherzusagen – vielleicht in fünf Jahren, vielleicht in fünfhundert Jahren. Ich würde auf das 21. Jahrhundert setzen.
John McCarthy, ehemaliger Professor für Informatik an der Stanford University9
Gefahr für unsere Lern- und Innovationsfähigkeit?
Gefahr für unsere Lern- und Innovationsfähigkeit?
Auf den Schultern von Riesen stehen10 – diese Metapher steht für die Idee, dass wir auf dem Wissen aufbauen, das von unseren Vorgängerinnen und Vorgängern an uns weitergegeben wurde. Wir lernen von ihrer Weisheit, wir lernen von ihren Entdeckungen und wir bauen auf ihrer Arbeit auf. KI kann diesen evolutionären Innovationsprozess jedoch gefährden. Die Ergebnisse von KI-Systemen basieren inzwischen auf einem so grossen Datenpool und können so komplexe Beziehungen und Interdependenzen enthalten, dass es für uns immer schwieriger wird, die Logik zu verstehen. Wenn wir nicht verstehen können, wie die Maschine denkt, uns aber immer mehr auf ihre Ergebnisse verlassen, könnten wir vielleicht unsere Lern- und Innovationsfähigkeit verlieren.
Auf dem Weg in eine goldene Ära der Innovation bei digitalen Technologien
Auf dem Weg in eine goldene Ära der Innovation bei digitalen Technologien
Auch wenn wir noch Jahrzehnte von der allgemeinen KI entfernt sind, werden die Fortschritte bei der schwachen KI – zusammen mit den unterstützenden Plattformtechnologien und dem ständig wachsenden Datenstrom – wahrscheinlich eine grössere Autonomie in der Robotik und Automatisierung ermöglichen und der Industrie sehr grosse Marktchancen eröffnen. Und diese Chancen werden mit der Entwicklung hin zur allgemeinen KI noch weiter zunehmen.
Wir sind überzeugt, dass wir in ein goldenes Zeitalter der Innovation in der Robotik und bei digitalen Technologien im weiteren Sinne eintreten und dass diese Innovationen bedeutende Fortschritte bei der wirtschaftlichen Produktivität und Nachhaltigkeit ermöglichen und Anlagechancen für geduldige Anlegerinnen und Anleger bieten werden.
Die dargestellten Unternehmen dienen ausschliesslich zu Illustrationszwecken und sind weder als Aufforderung noch als Angebot zum Kauf oder Verkauf einer Beteiligung oder einer Anlage zu verstehen. Soweit die vorliegenden Unterlagen Aussagen über die Zukunft enthalten, haben diese Aussagen Prognosecharakter und unterliegen verschiedenen Risiken und Unsicherheiten. Daher stellen sie keine Garantie für zukünftige Ergebnisse/Performance dar.
Über den Verfasser
Angus Muirhead
Head of Thematic Equities
Angus Muirhead (BA, CFA), Managing Director, ist Head of Equities bei Credit Suisse Asset Management, neu Teil der UBS Group, und Lead Portfolio Manager für die Robotik-Strategie. Angus kam 2016 als Senior Portfolio Manager zum Thematic Equity-Team. Er begann seine Investmentkarriere 1997 als Buy-Side-Aktienanalyst bei Phillips & Drew Fund Management in London. Im Jahr 2007 wechselte er als Portfoliomanager nach Zürich, wo er sich auf globale thematische Aktienfonds mit Bezug zu Technologie und Gesundheitswesen spezialisierte. Angus hat einen Bachelor-Abschluss in Modern Japanese Language and Business Studies von der Durham University, Grossbritannien und ist CFA Charterholder.
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