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Nach der Annahme der AHV-21 Reform im Herbst 2022 im Rahmen einer Volksabstimmung steht nun die nächste Reform im Schweizer Vorsorgesystem an: diejenige des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (BVG), also der Grundlage der beruflichen Vorsorge respektive der Pensionskassen. Wie bei nahezu jeder Vorsorgevorlage wurde auch gegen die BVG-Reform das Referendum lanciert. Die Unterschriften müssen bis am 6. Juni 2023 eingereicht werden, die Volksabstimmung dürfte wohl nicht vor 2024 stattfinden.

BVG: die finanziell massivste Vorsorgesäule

Für die Altersvorsorge verfügt die Schweiz über ein etabliertes Drei Säulen-System: Die 1. Säule besteht aus der Alters- und Hinterlassenenversicherung, allgemein bekannt als AHV. Dabei handelt es sich um eine staatliche Vorsorge. Die 2. Säule besteht aus der beruflichen Vorsorge, auch Pensionskasse oder BVG genannt. Sie ist für alle erwerbstätigen Menschen obligatorisch, ausgenommen sind sehr tiefe Jahreseinkommen und Selbstständigerwerbende. In der Theorie sollten die ersten beiden Säulen nach der Pensionierung zusammen rund 60 Prozent des letzten Einkommens erzielen. Die dritte Säule ist die sogenannte private Vorsorge, die freiwillig, aber für die Beibehaltung des gewohnten Lebensstandards wichtig ist. Die Säule 3a (= die gebunde Selbstvorsorge) wird steuerlich begünstigt.

Gezielt die Pensionierung vorbereiten

Wissen Sie, mit welchem Einkommen Sie nach der Pensionierung rechnen dürfen? Oder welches Kapital Sie mit der Säule 3a aufbauen können? Lassen Sie uns wissen, welche Fragen zur Vorsorge wir mit Ihnen besprechen können.

Fast 2,5 Millionen Menschen erhalten eine AHV-Altersrente (Bundesamt für Sozialversicherung, 2021). Diese beträgt im Durchschnitt 1876 Franken pro Monat. Nicht ganz 900 000 Menschen beziehen eine Pensionskassenrente, diese beläuft sich im Schnitt auf 2356 Franken im Monat. Für Rentnerinnen und Rentner, die früher berufstätig und BVG-pflichtig waren, ist die zweite Säule somit finanziell meist von grösserer Bedeutung als die erste.

Während in der 1. Säule die aktuell Berufstätigen die Renten der pensionierten Menschen bezahlen (sogenanntes Umlageverfahren), spart in der 2. Säule nach dem ursprünglich festgelegten Prinzip jede Person das eigene Alterssparguthaben an (Kapitaldeckungsverfahren).

Drei gute Gründe für eine Reform

Systemfremde Querfinanzierung

Die steigende Lebenserwartung in der Schweiz stellt den obligatorischen Teil der 2. Säule vor Probleme, denn hier fehlen Mechanismen, die automatisch auf demografische Änderungen reagieren. Mathematisch gesehen ist die Rechnung einfach: Soll ein angespartes Alterskapital für mehr Lebensjahre reichen, muss die monatliche Rente gesenkt werden. Doch der Umwandlungssatz (UWS), der die Rentenhöhe bestimmt, ist im Gesetz verankert. Aktuell liegt er bei 6,8 Prozent. Das heisst, dass aus einem angesparten Kapital von 1 Million Franken eine jährliche Rente von 68 000 Franken resultiert.

Die 6,8 Prozent sind nicht nur aus demografischen Gründen zu hoch. Ein solcher Wert bedingt eine Zinsgarantie in der Höhe von 4,8 Prozent – was entsprechend als sichere Anlagerendite erzielt werden muss. Um die Verluste zu decken, haben die Pensionskassen einerseits den Umwandlungssatz auf den überobligatorischen Guthaben stark gesenkt. Bei Kassen mit vielen Angestellten im Niedriglohnbereich, die nur im obligatorischen Bereich versichert sind, kam es allerdings zu Querfinanzierungen der Renten durch die Erwerbstätigen, also zu einer Umlagerung, die für die 2. Säule systemfremd ist.

Ausschluss von Teilzeitkräften mit tiefem Lohn

Die Beitragsflicht für die Pensionskasse besteht erst ab einem gewissen Einkommen: Vom Jahreseinkommen wird der sogenannte Koordinationsabzug subtrahiert. Dieser beträgt aktuell sieben Achtel der maximalen AHV-Rente, das entspricht 25 725 Franken (Stand 2024). Mit diesem Koordinationsabzug soll verhindert werden, dass auf den gleichen Lohnteilen Abgaben für die 1. und für die 2. Säule erhoben werden. Daneben gibt es noch eine Eintrittsschwelle für die 2. Säule, die aktuell bei drei Vierteln der maximalen AHV-Rente liegt, also bei 22 050 Franken (Stand 2024).

Koordinationsabzug und Schwellenwert führten auch dazu, dass Menschen in Niedriglohnsektoren in einer Teilzeitanstellung häufig keine 2. Säule haben – und nebenbei oft auch keine 3. Säule. Das rächt sich im Alter. Denn die AHV allein reicht den allerwenigsten Menschen für den Lebensunterhalt und macht Ergänzungsleistungen notwendig. Menschen in Niedriglohnsektoren mit Teilzeitpensen sind zu einem überwiegend grossen Teil Mütter. Diese wurden somit bisher von der beruflichen Vorsorge vielfach ausgeschlossen.

Verteuerung der älteren Arbeitskräfte

Die Altersgutschrift ist der Betrag, der jährlich beim Altersguthaben hinzukommt. Die Ansätze werden in Prozent des (koordinierten) Jahreslohns festgesetzt und sind nach Alter gestaffelt. Die aktuelle gesetzliche Staffelung führt dazu, dass mit 55 Jahren der letzte Anstieg von 15 auf 18 Prozent erfolgt, was Arbeitnehmende ab diesem Alter lohnmässig nochmals teurer macht – und auf dem Arbeitsmarkt zu Benachteiligungen führen kann.

Auf einen Blick: Was sich ändern soll

  • Die BVG 21-Reform sieht eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent vor, womit die systemfremde Querfinanzierung der Renten durch die junge Generation zumindest vorderhand reduzieren soll. Ein Umwandlungssatz von 6 Prozent entspricht einer Zinsgarantie von immer noch relativ hohen 3,5 Prozent (im Vergleich zu den heutigen 4,8 Prozent).
  • Der Koordinationsabzug als feste Grösse entfällt – neu werden 20 Prozent vom Lohn abgezogen, der Rest ist versichert.
  • Die Eintrittsschwelle wird um 10 Prozent von 22 050 (Stand 2024) auf 19 845 Franken gesenkt. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen würden von dieser Änderung rund 100 000 Personen profitieren.
  • Das System der Altersgutschriften wird vereinfacht. Statt wie bisher vier gibt es neu nur noch zwei Stufen und der Wechsel von 9 zu 14 Prozent erfolgt im Alter von 45 Jahren.

Der Preis der Reform

Für die ersten 15 Jahrgänge, die nach dem Inkrafttreten der Reform pensioniert werden, sind Rentenzuschläge vorgesehen. Dies allerdings nicht in Abhängigkeit davon, ob eine Person von der Reform betroffen ist, oder nicht, sondern in Abhängigkeit des angesparten Pensionskassenguthabens und des Zeitpunkts der Pensionierung. Dies hat zur Folge, dass die Reform die jungen Generationen deutlich mehr kostet, als wenn nur jene Personen, die auch eine Rentensenkung erlitten hätten, dafür kompensiert würden.

Die Rentenzuschläge in den 15 Jahren belaufen sich total auf rund 800 Millionen Franken pro Jahr, während die Umwandlungssatzreduktion die jungen Generationen nur um etwa 400 Millionen Franken pro Jahr entlastet. Finanziert werden sollen diese Kosten durch Angestellte, Arbeitgebende und Pensionskassen. Die Zuschläge sind somit nochmals eine systemfremde Querfinanzierung der Rentnerinnen und Rentner durch die Berufstätigen.

Die Rentenzuschläge

Vorsorgeguthaben in CHF

Vorsorgeguthaben in CHF

Zuschlag in CHF/Monat

Zuschlag in CHF/Monat

Vorsorgeguthaben in CHF

bis 220 500

Zuschlag in CHF/Monat

- erste fünf Jahrgänge: 200
- nächste fünf Jahrgänge: 150
- letzte fünf Jahrgänge: 100

Vorsorgeguthaben in CHF

220 500 bis 441 000

Zuschlag in CHF/Monat

reduzierte Zuschläge, abgestuft nach Guthaben und Jahrgang

Vorsorgeguthaben in CHF

ab 441 000

Zuschlag in CHF/Monat

keine Zuschläge

Die Rentenzuschläge werden lebenslang garantiert. Das Bundesamt für Sozialversicherungen geht davon aus, dass je etwa 25 Prozent der Versicherten in den Übergangsjahrgängen auf die ersten beiden Vorsorgeguthabenkategorien fallen und rund 50 Prozent der Versicherten über 441 000 Franken Vorsorgeguthaben angespart haben.

80 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen haben die Reformmassnahmen schon umgesetzt

Einige der in der BVG 21-Reform beschlossenen Massnahmen gehen in die richtige Richtung. Ein Indiz dafür ist, dass die grosse Mehrheit der Vorsorgeeinrichtungen den Umwandlungssatz und den Koordinationsabzug schon unter das in der Reform vorgesehenen Niveau reduziert hat. Über die weiteren Eckwerte lässt sich debatieren: Könnten nicht schon 20-jährige in eine Pensionskasse einzahlen? Wäre ein Automatismus beim Umwandlungssatz nicht schlauer gewesen? Machen die Rentenzuschläge Sinn? Doch das Paket wurde vom Parlament verabschiedet und das lancierte Referendum wird wohl zu Stande kommen. Es stellt sich die Frage, ob es gerechtfertigt ist, den jungen Generationen neue Bürden aufzulasten, wenn die Reformmassnahmen – ohne Lasten – schon durch die überwiegende Mehrheit der Vorsorgeeinrichtungen umgesetzt wurde.