Lloyd S. Shapley

Nobelpreis 2012 | Vater der Spieltheorie: Wann ist ein Spiel lohnend?

«A beautiful mind» – das ist eines von Lloyd Shapleys Zitaten, welches später zum Titel des berühmten Buches und danach auch Films über den Mathematiker John Forbes Nash Jr. wurde. Doch dieses Zitat könnte auch der Titel für seine eigene Lebensgeschichte sein. Er war nicht nur einer der Mitbegründer der Spieltheorie, er überschritt auch die Grenzen seines eigenen Geistes, testete jene der Zeit und durchbrach die Schranken der Mathematik. Shapley ebnete späteren Ökonomen den Weg, um den Ausgang von «Spielen» mit Milliarden von «Spielern» vorauszusagen. Sein Beitrag ermöglichte es, sowohl die Machtdynamik innerhalb der Wirtschaft als auch das Wahlsystem zu analysieren. Das sogenannte «Heiratsproblem» – das Problem der paarweisen Zuordnung von Dingen – war einer seiner wichtigsten Beiträge und legte den Grundstein dafür, dass spätere Spieltheoretiker das stabile Matchmaking auf Schulen, medizinische Behandlungen und sogar Organtransplantationen übertragen konnten. Shapley wird oft als Gigant der Spieltheorie bezeichnet und er hatte tatsächlich ein Faible für Spiele.

Shapley

Lloyd S. Shapley

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften (anteilig), 2012

Auf einen Blick

Geboren: 1923, Cambridge, Massachusetts, USA

Gestorben: 2016, Tucson, Arizona, USA

Fachgebiet: Spieltheorie

Ausgezeichnetes Werk: Die Theorie stabiler Verteilungen und die Praxis des Marktdesigns

Andere Spiele: Erfand 1950 zusammen mit John Forbes Nash, Mel Hausner und Martin Shubik das Brettspiel «So Long Sucker»

Programmierkenntnisse: Um seine Familie wissen zu lassen, wo er sich während seines Militärdienstes aufhielt, schrieb er ihr einen Brief und erwähnte darin Onkel Charlie; auf der linken Seite konnte man darin untereinander lesen: C-H-I-N-A

Lieblingsspiel: Das «Kriegsspiel», ein schachähnliches Brettspiel, bei dem die gegnerischen Figuren nicht zu sehen sind

Lieblings-Baseball-Mannschaften: Die Boston Red Sox und die Los Angeles Dodgers

Der Vater der Spieltheorie ist ein verblüffender Mann

Die Strategie- und Denkspiele, die Shapley so liebte, liegen immer noch fein säuberlich aufeinander gestapelt auf einem kleinen Beistelltisch. Hier in Tucson, Arizona, lebte Shapley in seinen letzten Jahren und wurde von seinem Sohn Peter und dessen Frau gepflegt. Peter erzählt uns, dass diese Rätselspiele eine wertvolle Erinnerung sind, nicht nur an Shapley selbst, sondern auch an die Zeit, die Peter in der Kindheit mit seinem Vater verbracht hat. «Als der Zauberwürfel aufkam, starrte er diesen zunächst für lange Zeit an, bevor er ein paar Drehbewegungen machte, um ihn dann wieder mit dem Blick zu fixieren. Nach ein paar weiteren Drehungen war er fertig und sagte ‹Ich habe 20 Züge gebraucht›», erinnert sich Peter. «Und ich dachte nur, ich brauche 200 Züge. Aber ich bekomme es auch viel schneller hin. Als Mathematiker suchte er immer die optimale Lösung; was nicht immer die schnellste sein muss. Darin war er gut.»

Kann man mithilfe der Spieltheorie die Zeit beim Militär überleben?

Seine mathematischen Fähigkeiten und seine Rätselleidenschaft stellte er unter Beweis, als er im Jahr 1950 zusammen mit ein paar Freunden, darunter auch Nash, das Strategiespiel So Long Sucker erfand.

Während seines Militärdienstes konnte er seiner Familie mithilfe einer verschlüsselten Nachricht seinen Aufenthaltsort mitteilen. Seit er als frischer Harvard-Absolvent eingezogen worden war, waren seine Vorgesetzten zumindest so schlau, seine Fähigkeiten eher in Unterstützungsfunktionen als auf dem Schlachtfeld zu nutzen. Peter erzählt uns, dass sein Vater «Codes und ähnliche Dinge geknackt hat.»

Foto von Peter mit Shapleys Militäruniform

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Mithilfe eines Algorithmus die wahre Liebe finden

Peter gesteht, dass er nur eine vage Vorstellung davon hat, welchen Beitrag sein Vater im Bereich der Spieltheorie geleistet hat. Vielleicht liegt das daran, dass Shapley, wie er selbst wusste, kein guter Lehrer war. «Er sprach auf einem Niveau, das über dem von Highschool-Studenten und selbst dem der meisten College-Studenten liegt», erinnert sich Peter. Eines weiss er jedoch über die Theorien seines Vaters: Das Problem stabiler Verteilungen, auch Heiratsproblem genannt, hat nichts mit dem Heiraten zu tun. Es handelt sich dabei nur um eine Metapher für die Paarbildung von Personen oder Gruppen.

Doch wenn Shapley selbst nicht in der Lage war, seine Thesen einem Nicht-Ökonomen zu vermitteln, wer kann es dann?

Kann die Spieltheorie dabei helfen, die wahre Liebe zu finden?

Wir treffen Alvin Roth, Shapleys Mitpreisträger, in seinem Büro in Stanford. Dieser widmet sich dem Heiratsproblem seit dieses zur Grundlage seiner eigenen, später mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Arbeit geworden war. Shapleys Algorithmus, so erklärt Roth, versetzte ihn in die Lage, stabile Verteilungen zu finden, allerdings nicht für Männern und Frauen, sondern für die Zuweisung von Schülern auf Schulen sowie in der Ausbildung befindlichen Ärzten auf Facharztprogramme. Roth erläutert, dass sich die Funktionsweise des Algorithmus dennoch am besten anhand von Männern und Frauen demonstrieren lässt und taucht in ein Beispiel ein.

Wie lässt sich ein guter Match finden?

«Jeder Mann macht der Frau einen Heiratsantrag, die ihm am besten gefällt», beginnt er. «Und jede Frau, die mehrere Heiratsanträge erhält, lehnt alle ab, bis auf den, der ihr am besten gefällt. Wenn sie diesen einen Antrag nicht gleich annimmt, nennt man das den Deferred-Acceptance-Algorithmus. Sie schiebt die Entscheidung auf, lehnt den Antrag jedoch nicht ab.»

Nach diesem Algorithmus, den Shapley gemeinsam mit seinem Kollegen David Gale entwickelte, wird jeder Mann am Ende, wenn keine weiteren Heiratsanträge mehr gemacht werden, mit der Frau verheiratet sein, die von ihm einen Antrag erhalten und angenommen hat. Und die Männer, deren Anträge abgelehnt wurden, bleiben Single, genau wie die Frauen, die keinen Heiratsantrag bekommen haben. «Damit haben Gale und Shapley bewiesen, dass der Deferred-Acceptance-Algorithmus ungeachtet der anfänglichen Präferenzen stets zu einer stabilen Zuordnung führt», sagt Roth.

Briefverkehr zwischen Shapley und Gale, in dem der Algorithmus beschrieben wurde

Ist es möglich, den Ausgang eines Spiels vorherzusagen?

Shapley arbeitete auch eng mit seinem Freund, dem Mathematiker und Spieltheoretiker Robert Aumann, zusammen. Peter erinnert sich noch daran, wie oft sich sein Vater und Aumann stundenlang «über ein einziges Komma» stritten.

Aumann sagt, Shapley hätte den Nobelpreis vor allen anderen Spieltheoretikern bekommen sollen, weil seine Arbeit die Grundlage für all die anderen nach ihm war. Gemeinsam definierten die beiden den Aumann-Shapley-Wert. Dieser Wert basierte auf Shapleys bekanntestem Forschungsbeitrag, dem Shapley-Wert. Dabei handelt es sich um ein Lösungskonzept zur Beurteilung einer Spielsituation vor Spielbeginn. Das Konzept hilft bei der Einschätzung, ob es sich lohnt, ein Spiel zu spielen oder man stattdessen besser einen Kaffee trinken geht.

Shapley mochte es, Probleme auf dem Papier zu lösen, überliess die praktische Umsetzung der Ansätze aber meist anderen. Oder wie Peter es ausdrückt, sobald ein Problem gelöst war, wandte er sich davon ab und suchte sich ein neues.

Was können wir von Shapleys Arbeit zum Thema Wahlen lernen?

Im sogenannten Shapley-Shubik-Index wurde der Shapley-Wert zum Standardansatz für die Analyse aller denkbaren Wahlsituationen. «Er entwickelte ein Konzept, mit dem er mathematisch beweisen konnte, dass die Wähler in mittelgrossen Staaten mehr Abstimmungsmacht bei Präsidentschaftswahlen haben», erläutert Peter.

Wie lassen sich Machtverhältnisse analysieren?

«Es gibt fünf Vetomächte. Die USA, Grossbritannien, Russland, China und Frankreich», sagt Aumann und bezieht sich dabei auf den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. «Die restlichen 10 Mitglieder des Sicherheitsrates besitzen kein Vetorecht. Wie sind nun die Kräfteverhältnisse verteilt? Bei Zugrundelegung des Shapley-Wertes liegen 98 Prozent der Macht bei den fünf Grossen. Man würde meinen, das Veto spiele gar keine so grosse Rolle. Nun, es ist schon sehr wichtig.»

Das Zusammentreffen mit Barack Obama markierte «einen der Höhepunkte seines Lebens», sagt sein Sohn Peter. «Er sah sich seit seiner Kindheit zur Zeit der Weltwirtschaftskrise als Demokrat.»

Eine parlamentarische Demokratie, die aus einer grossen und mehreren kleinen Parteien besteht, kann auch ins Feld geführt werden, um aufzuzeigen, wie die Macht gemäss dem Shapley-Shubik-Index verteilt ist. «Nehmen wir einmal an, eine grosse Partei erhält ein Drittel der Wählerstimmen und die restlichen zwei Drittel verteilen sich auf die kleineren Parteien», erklärt Aumann. «Dann hat die grosse Partei zwar nur ein Drittel der Stimmen aber die Hälfte der Macht. In der Bündelung liegt also die Macht.»

Dann dreht er den Fall um, sodass zwei grosse Parteien jeweils ein Drittel der Stimmen auf sich vereinen und die kleinen Parteien das verbleibende Drittel für sich beanspruchen. «In diesem Fall bedeutet die Bündelung einen Mangel an Macht. Denn hier ist die Macht der kleinen Parteien grösser. Die beiden grossen Parteien mit jeweils einem Drittel der Stimmen verfügen jeweils nur über ein Viertel der Macht, während sich die andere Hälfte der Macht auf die kleinen Parteien verteilt.»

Meister der Spiele: Erinnerungen an Lloyd Shapley

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Shapley wuchs während der «Grossen Depression» auf und war sein ganzes Leben mit Leib und Seele Demokrat. Peter zeigt uns stolz ein Foto mit ihm, seinem Vater und dem früheren US-Präsidenten Barack Obama, den Shapley verehrte. «Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor ein paar Jahren mit ihm auf dem Freeway unterwegs war und er ein Schild entdeckte mit der Aufschrift ‹Dieses Projekt wurde durch das American Recovery Act finanziert›. Das kommentierte er mit den Worten ‹Das ist gut. Deshalb bin ich Demokrat geworden, denn das haben die Demokraten auch 1932 gemacht›.»

Bei einem Fussmarsch durch den Sabino Canyon in Tucson, wo Vater und Sohn oft gemeinsam unterwegs waren, reflektiert Peter über die letzten Tage seines Vaters. Die Verleihung des Nobelpreises war für seinen Vater das bedeutendste Erlebnis in seinem Leben. «Aber ich glaube nicht, dass es das Letzte war, was er sich gewünscht hat», sagt Peter.

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