Roger B. Myerson
Nobelpreisträger 2007 | Wie gestalten wir ein soziales System für eine friedlichere Welt?
Roger Myerson legte die Grundlagen für ein bedeutendes intellektuelles Unterfangen, die so genannte Mechanismus-Design-Theorie. In dieser fundamentalen Arbeit, für die er 2007 den Nobelpreis erhielt, konzentrierten sich Myerson und seine Mitstreiter Leonard Hurwicz und Eric Maskin auf die Frage, wie Institutionen in unvollkommenen Märkten funktionieren und wie Mechanismen gestaltet werden können, mit denen man Ziele wie eine optimale Sozialversorgung erreichen kann.
Myerson lehrt nicht nur die von ihm entwickelten Theorien, er sucht auch nach Fortschritten. So befasst er sich mit Konflikten, die auf den ersten Blick gar nicht greifbar erscheinen. Da dies auch eine Frage des Vertrauens und der Führungsqualität ist, verfolgt der Spieltheoretiker ehrgeizig sein Ziel, Grundsätze für internationale Beziehungen zu schaffen, die zu einer friedlicheren Welt führen.
Roger B. Myerson
Roger B. Myerson
Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, 2007
Auf einen Blick
Auf einen Blick
Geboren: 1951, Boston, Massachusetts, USA
Fachgebiet: Spieltheorie
Ausgezeichnetes Werk: Grundlagen der Mechanismus-Design-Theorie
Geheime Erfolge: Hatte als Student eine nobelpreisfähige Idee, aber leider hatte Reinhard Selten bereits dieselbe Idee gehabt
Grösster Widerspruch: Experte zum Thema Auktionstheorie, aber erfolglos bei Auktionen. Er nahm einmal teil, aber schon das erste Angebot lag weit über seinem
Downgrade: Ist wahrscheinlich der einzige Professor, der gemeinsam mit einem seiner Studenten Unterricht erhält (im Mundharmonikaspielen)
Die Macht der Gewohnheit
Die Macht der Gewohnheit
Er nimmt an jedem Werktag die Buslinie Nummer zwei, um zur Universität von Chicago und zurück zu seiner Wohnung in der Innenstadt zu gelangen. Unter seinem beigefarbenen Anglerhut verborgen sieht niemand, welche faszinierenden Gedankenspiele in seinem Kopf stattfinden. Ein Blick aus dem Busfenster auf das tiefe Blau des Michigansees reicht schon aus, um ihn möglicherweise zu einer neuen Idee zu inspirieren, wie wir unsere Wirtschaft optimieren können. So macht er das schon sein halbes Leben lang, aber Myerson möchte sein Leben gerne so einförmig wie nur möglich gestalten. «Wenn es jeden Tag dasselbe zum Abendessen gäbe, hätte ich kein Problem damit», sagt er. Würde er sich selbst als Geek bezeichnen? «Absolut», antwortet er und gibt zu, dass er in den Sommerferien an der High School zum Vergnügen die Wirtschaftsbücher von Paul Samuelson las. Hart zu arbeiten ist für Myerson die beste Form der Unterhaltung.
«Ein Nerd zu sein, ist für mich Quelle der Inspiration»
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Können wir die Spieltheorie dazu verwenden, ein stabiles, friedliches soziales System zu entwerfen?
Können wir die Spieltheorie dazu verwenden, ein stabiles, friedliches soziales System zu entwerfen?
Auch wenn er sich selbst als Nerd bezeichnet, tobt in Myerson doch, wie man schnell merkt, auch eine innere Wildheit. Die Geschwindigkeit seiner Worte gleicht einer rasanten Verfolgungsjagd, bei der jedem Gedanken innerhalb von Sekunden nachgegangen wird, weshalb es wahrscheinlich so schwierig ist, ein Thema zu finden, für das er sich nicht interessiert oder das er nicht später recherchieren würde. «Die grundlegende theoretische und empirische Analyse sozialer Phänomene wird uns dabei helfen, die destruktiven Kräfte zu bändigen», erklärt er. Myerson ist der Meinung, dass die Spieltheorie dazu beitragen kann, ein stabiles, friedliches soziales System zu entwickeln, weil sie einen generellen Rahmen bietet und uns daran erinnert, dass viele verschiedene Aspekte berücksichtigt werden müssen.
Verhaltensökonomen kritisieren die Spieltheoretiker für ihre Annahme, dass Menschen rationale Entscheidungsträger sind, und bezweifeln die Angemessenheit ihrer wissenschaftlichen Methoden. Myerson kann diese Bedenken zwar verstehen und findet sich selbst manchmal aberwitzig, führt aber an, dass das wirkliche Problem manchmal nichts mit den Menschen oder ihren Entscheidungen zu tun hat, sondern damit zusammenhängt, dass das System lediglich ganz bestimmte Optionen anbietet.
Kann die Spieltheorie für den Entwurf eines stabilen, friedlichen sozialen Systems genutzt werden?
Als Beispiel führt er hier den Prozess der Regierungswahlen an. Hier wird ein System vorgegeben, in dessen Rahmen die Bürger Entscheidungen treffen. «Wenn wir darüber sprechen, unsere Institutionen zu reformieren und die Regeln unserer demokratischen Regierungen zu ändern und dann sagen, ‹Die Wähler sollten nicht so dumme Entscheidungen treffen, wenn sie wählen› lenken wir vom eigentlichen Thema ab», argumentiert Myerson und man spürt seine Leidenschaft für das Thema. «Hier wird nur von der Frage abgelenkt, ob wir vielleicht die Regeln unseres Wahlsystems ändern sollten. Und in diesem Zusammenhang ist die Annahme hilfreich, dass der Einzelne so gut wie nur irgend möglich versucht, das Beste für sich zu erreichen.»
Als Wissenschaftler – und besonders als Spieltheoretiker– sieht er es als seine Aufgabe an, das Wesentliche in sozialen Strukturen zu verstehen. Als jemand, der sich immer schon für Geschichte interessiert hat, sind ihm die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, ständig bewusst. «Die furchtbarsten Entscheidungen in unserer gesamten Geschichte wurden getroffen, weil Menschen irgendetwas vergessen haben», so Myerson. «Nach dem zweiten Weltkrieg verstand jeder, dass die Reparationsforderungen nach dem ersten Weltkrieg ein furchtbarer Fehler waren, der nicht wiederholt werden darf. Aber wer verhindert, dass die Gewinner eines Krieges, die eine neue Weltordnung schaffen, wieder Fehler machen?»
Wie können wir den Terrorismus beenden?
Wie können wir den Terrorismus beenden?
Seiner Meinung kann man Konflikte, ob international, finanziell oder im Gesundheitswesen, nur lösen, indem man einige wesentliche Fragen stellt. Myerson beschäftigt sich mit der Bedrohung, die von terroristischen Organisationen wie ISIS ausgehen, und überrascht uns mit der Aussage, dass «wir, wenn das unser schlimmstes Problem ist, wahrscheinlich in einem goldenen Zeitalter leben». Damit will er nicht sagen, dass wir angesichts der grausamen Anschläge von ISIS nicht entsetzt sein dürfen, sondern, dass wir die Wurzeln des Problems betrachten sollten, die Entscheidungen und Verhaltensweisen, die dem Terrorismus zum Erfolg verhelfen.
Wie werden wir ISIS wieder los?
«Unser Versuch, den Irak als souveränen demokratischen Staat wieder aufzubauen, war ein komplettes Desaster», sagt er. «Auch wenn es momentan so aussieht, als wäre der Versuch in Afghanistan erfolgreicher, halte ich es für sehr fraglich, ob wir wirklich auf einen Erfolg hoffen können.»
Wenn man einen Staat neu aufbaut, kann man die Kultur einer völlig zerstörten Region nicht einfach mit dem System der Siegermacht ersetzen. Man muss die Frage stellen, wie man innerhalb der kulturellen Bedingungen des Landes arbeitet, um für mehr Wohlstand zu sorgen. «Unser diplomatischer Instinkt, wenn wir ein unabhängiges Regime aufbauen, ist, dass die internen verfassungsrechtlichen Fragen selbst bestimmt werden müssen», sagt er. «Aber unsere Intervention ändert die Art und Weise, in der diese Führungspersönlichkeiten über ihre ideale Verfassung nachdenken und versetzt sie in die Lage, eine Verfassung zu entwerfen, die ihnen besser passt, aber langfristig weniger tragfähig ist.»
Der erfolgreiche Aufbau eines Staates gehört zu den grössten Herausforderungen in den Sozialwissenschaften, muss aber vielleicht einfach kleiner beginnen. Wie Myerson vorschlägt, kann sich die kontinuierliche Unterstützung der demokratisch gewählten Provinzregierungen in den sunnitischen Teilen des Irak langfristig auszahlen. «Wir müssen die politischen Führungspersönlichkeiten in den Provinzen unterstützen, statt uns nur auf die Landesregierung zu konzentrieren», so Myerson.
Wie werden Informationen genutzt, um Ressourcen in der Gesellschaft zu verteilen?
Wie werden Informationen genutzt, um Ressourcen in der Gesellschaft zu verteilen?
Jeden Tag, wenn er auf das endlose Blau des Michigansees blickt, beschäftigt sich Myerson weiter mit der Suche nach allgemein gültigen Grundsätzen für internationale Beziehungen, die zu einer friedlicheren Welt führen. Und selbst angesichts der grossen Probleme wird der Theoretiker doch immer optimistischer und zuversichtlicher.
Als die Sonne durch das Fenster bricht, zieht er seinen Hut etwas tiefer ins Gesicht. Bestehende Grenzen zu überschreiten, auf vielen verschiedenen Ebenen erfolgreich zu sein, ist eine Herausforderung, der er sich seit langem stellt. So stellt er sich nicht nur als Professor täglich der Lösung von Problemen, die mit unvollständigen Informationen zu tun haben, sondern wurde dafür auch mit dem Nobelpreis geehrt.
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Als junger Student schloss sich Myerson in der Bibliothek der Harvard University ein, um ganz ruhig und gelassen die Grundlagen des damals noch jungen Feldes der Spieltheorie zu ergründen. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass es bei der einsamen Arbeit um die Verantwortung gegenüber anderen ging, die ihm schliesslich massgeblich zu seinem Durchbruch verhelfen sollte. Den Vorstellungen von Myerson nach besteht ein Anreiz darin, eine vertrauenswürdige Person als Vermittler zu haben, von der die Informationen beider Seiten zuverlässig kommuniziert werden. «Die Menschen dazu zu bringen, Informationen wahrheitsgetreu zu übermitteln und auch versteckte Bemühungen angemessen umzusetzen, ist ebenso Teil des wirtschaftlichen Problems wie die begrenzten Ressourcen», so der Professor. «Man hat schon in der Vergangenheit verstanden, dass das Problem im Vertrauen liegt, aber dies wurde in den Werkzeugen ökonomischer Analyse nicht berücksichtigt.»
Wie Myerson die Spieltheorie prägte
Durch seine Entwicklung bestimmter Mechanismen konnten nicht nur effiziente Handelstools für Ökonomen identifiziert werden, sie beeinflusste auch die Arbeit von Aufsichtsbehörden, Wahlverfahren und Finanzsysteme. «Die Liste ist enorm», so Phil Reny, ein Freund und Kollege von Myerson. «Er hat sowohl die gesamte Informationsökonomie als auch Mechanismusdesign, Auktionstheorie, politische Ökonomie und Spieltheorie ganz massgeblich beeinflusst. Er ist einer der ganz Grossen.»
Zurück in seiner Wohnung lässt Myerson den Blick noch einmal über den Lake Michigan schweifen. Es scheint, als wäre die ganze Stadt sein Arbeitsplatz, den er nie verlässt und wahrscheinlich auch nie verlassen wird. Er nimmt seine Mundharmonika zur Hand und beginnt, für seinen wöchentlichen Unterricht zu üben, der später am Tag ansteht. Dabei ist es schon witzig, dass der Song, den er wählt, ausgerechnet «Runaway» heisst.
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